Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
einige Male an der Zigarette, legte diese dann vorsichtig auf dem Aschenbecher ab und schwankte, ein wenig trieselig im Schädel, ins Bad, machte sich im Gesicht frisch und ließ sich kaltes Wasser über die Pulsadern der Handgelenke laufen. Zurück im Zimmer drückte er die noch qualmende Zigarette aus, schleuderte die Schuhe von den Füßen, zog sich Jackett, Hose und Strümpfe aus, wickelte sich in eine Wolldecke und rollte sich auf dem in den Federn knackenden Sofa zusammen.
Tageslicht sickerte durch die Gardinenspalten. Er wußte gleich, wo er war und schaute auf die Armbanduhr, hielt sie sich dicht vor die Augen, eine messingfarbene Kienzle, die seine Großmutter ihm zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Es war tief dämmrig im Zimmer. Er kniff die Augen zusammen, kurz vor neun war am Zeigerstand zu erkennen. Um halb drei hatte er sich in die Decke gewickelt. Gut sechs Stunden Schlaf mußten reichen. Wie hatte Hoffmann gesagt? Wenn Sie gehen, ziehen Sie einfach die Tür hinter sich zu. Er richtete sich auf, pellte sich aus der Decke, kam auf die Füße und zog die schweren Gardinen zurück. Draußen begann ein grauer Tag. Eine baumbestandene kopfsteingepflasterte Straße war zu erkennen, die Laternen brannten noch im Morgendämmern. Schwarzes kahles Gebüsch erkannte er in Vorgärten hinter Zäunen vor gelbgrauen Jugendstilfassaden. Gutbürgerlich nannte man so eine Gegend.
Nachdem er im Bad geduscht hatte, frische Handtücher fanden sich auch, ging er über den Flur, das Parkett knarrte etwas, in die hell geflieste Küche. Aus dem Fenster dort, die Scheibengardinen hatte er ein wenig beiseite geschoben, reichte der Blick in einen von Hinterhausfassaden umstellten Hof mit bräunlichen Rasenflächen, struppigen Sträuchern, immergrünen Rabatten und ziegelfarbenen Plattenwegen zu Haustüren an allen Seiten. Viele Fenster sahen ihn an in grauverputzten dreistöckigen Fassaden ringsum. In einigen brannte Licht. Dieser eingemauerte Hofgarten dort unten wirkte eng, irgendwie zusammengeschoben. Das gefiel ihm nicht, der Anblick, der Hof, der Garten, ein tiefhängender grauer Himmel darüber. Er zog die Gardine wieder vor die Scheiben und knipste das Licht an. Es fiel aus einer halbkugelförmigen Milchglasschale von der Decke.
Bohnenkaffee fand er gleich fertig gemahlen in einer verschließbaren Büchse und ein Gerät daneben, vernickeltes Metall, sicherlich eine Kaffeekochmaschine, mit der er aber nichts anzufangen wußte. Er ließ lieber die Finger davon und machte sich Wasser in einem Topf auf dem Elektroherd heiß. Das gelang ihm auch, und er brühte sich den gemahlenen Kaffee in einer Tasse auf. So tat das auch seine Mutter manchmal, wenn sie ein paar Bohnen in einem Päckchen von Verwandten oder Bekannten aus dem Westen erhalten hatte.
Angenehm zog Kaffeeduft durch die Küche, bloß zu essen fand er nichts. Im Kühlschrank standen lediglich einige Sektflaschen. Alkohol war jedoch das, wonach ihn im Augenblick am allerwenigsten verlangte. Der heiße Kaffee war das reinste Labsal, wirkte vom Kopf bis hinein in die Zehen und Fingerspitzen. Solch einen Kaffee sollte man öfter haben, und er schlürfte mit gespitzten Lippen das schwarze Getränk, bis die Watte allmählich aus dem Kopf wich.
Ein Telefon fand sich auch. Er nahm den Hörer ans Ohr, vernahm deutlich das Freizeichen und legte wieder auf. Schön wärs, wenn man jetzt zu Hause anrufen könnte. Aber er kannte ja nicht mal jemanden aus der Nachbarschaft, den er hätte anrufen können. Fast niemand hatte Telefon. Ja, früher ... Er erinnerte sich an Telefonstreiche aus der Kindheit, noch im Krieg, da hatte sein älterer Bruder einfach irgendeine Nummer gewählt und irgendwelchen Unsinn erzählt. Einmal hatte er einem Fräulein vom Amt ein Wunschkonzert mit der Ziehharmonika gegeben. Nach dem Krieg gabs einfach keine Telefone mehr. Möglicherweise sollten hier Kontakte beschränkt bleiben. Jedes Telefon mehr erforderte einen höheren Abhöraufwand. Das alles ging ihm durch den Kopf, während er das schwarzglänzende Telefon auf dem Tisch mit Blicken streichelte. Dann nahm er wieder den glatten kühlen Hörer in die Hand, hielt ihn ans Ohr und vernahm das Freizeichen, dieses ferne Tuten, wählte zögernd mit der Drehscheibe eine beliebige Nummer und hörte das langgezogene Anschlußtuten. Schließlich eine weibliche Stimme, die einen Namen nannte, den er vor Schreck nicht gleich verstand. „Hallo … hallo!“ hatte er die weibliche Stimme im Ohr.
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