Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
auszubessern und für die Einfuhr von Steinkohleprodukten hatte man kein Geld. Im Verlaufe der letzten Jahre, das meinte nicht nur Sebastian, hatten Schadstellen auf den Chausseen merklich zugenommen, nicht zuletzt durch die vermehrten Frostaufbrüche der vergangenen strengen Winter.
Als tröstlich empfand Sebastian auf diesem Heimweg aber, daß er sich zu Hause an frischem Wasser satt trinken konnte und vor allem auch, daß es Freitag war und ihn ein unbeschwertes Wochenende erwartete. Er hatte frei, mußte nicht nach Berlin oder anders wohin fahren und würde daher heute Abend nach längerer Zeit mal wieder bei Richard reinschauen, natürlich erst spät, um dann dort den geheimen Nachtklub anzutreffen, den Zimmermann von der Stalinallee vielleicht und den Bergbauingenieur, Ede, den Ziegeleiarbeiter… mal sehen, wer da sein würde.
Noch vor dem 17. Juni, rechnete er nach, war er das letzte Mal dort gewesen, das war jetzt rund zwei Monate her, sagte er sich. Viel hatte sich inzwischen getan. Ulbricht war vorübergehend bei den Russen in Ungnade gefallen, das Ministerium für Staatssicherheit war zum Staatssekretariat herabgestuft worden und viele Menschen waren bei diesem Aufstand ums Leben gekommen. Mal hören, überlegte er, was die dort bei Richard zu all dem sagen würden, zum Aufstand und zur Situation jetzt.
Als Sebastian sein Fahrrad über die beiden Granitstufen in den Hausflur getragen und dort angeschlossen hatte, betrat er schließlich durchgeschwitzt und verstaubt, die Kleidung voller Harzflecken, die Wohnung. Seine Mutter schüttelte nur den Kopf, als sie ihn ansah. „Wie soll ich das bloß wieder sauber kriegen, bei der Waschmittelzuteilung, die sowieso schon hinten und vorne nicht reicht. Du siehst ja jetzt fast jeden Tag so aus“, stellte sie fest.
„Das geht uns allen so“, erklärte Sebastian und blickte an sich herunter.
„Na, ich weiß nicht“, sagte seine Mutter und betrachtete ihn skeptisch.
„Also dann kriech du doch mal in das Dickicht, in das sie uns dort schicken“, empörte sich Sebastian.
„Aber das habt ihr doch schon öfter gemacht, dieses Auszeichnen. Was sollt ihr denn da noch lernen?“
„Lernen?“ Sebastian lachte kurz. „Was denkst du denn, wir werden zu Waldarbeitern abgerichtet und nicht etwa zu Förstern ausgebildet“, dabei zog er sich das nasse Hemd über den Kopf. „Drei von uns werden wahrscheinlich auf die Schule kommen, ganz gleich, was sie jetzt lernen oder auch nicht. Ich bin jedenfalls nicht dabei. Ich halte das Ganze ja auch für sinnlos. Aber was soll ich tun? Ich kann mich doch nicht weigern die Arbeit zu machen, dann kann ich gleich ganz aufhören. Aber jetzt gehe ich erstmal duschen“, sagte er abwinkend und begab sich ins Badezimmer.
„Leg deine schmutzige Hose gleich raus“, rief seine Mutter ihm nach, „nicht, daß sie dann wieder irgendwo rumliegt.“
Als erstes beugte Sebastian sich über das Waschbecken unter den aufgedrehten Wasserhahn und bildete mit den ineinander verschränkten Fingern beider Hände eine Rinne, über die er das kalte Wasser in den Mund laufen ließ. Er spürte förmlich, wie sein ganzer Körper dieses Naß aufsog. Erfrischt vom Duschen danach zog er sich trockene Sachen an und aß in der Küche, was seine Mutter ihm vom Mittagessen aufgehoben hatte: Nudeln mit Tomatensoße und grünem Salat aus dem Garten. Von Erschöpfung spürte er nichts mehr.
„Ich fahr’ noch mal ein Stückchen raus“, sagte er zu seiner Mutter, die ihm fragend nachblickte. „In die Kippen“, fügte er hinzu.
„Du und deine Kippen“ erwiderte sie kopfschüttelnd.
„Da bin ich wenigstens mal ganz alleine“, sagte er. In Richtung Senftenberg fuhr er dann an diesem Spätnachmittag über den Ilseberg, um oben gleich rechts abzubiegen, an einem kleinen Garten mit Obstbäumen und Beerensträuchern vorbei. Der Weg verlor sich dann schnell im Schatten eines jungen Birken- und Kieferngehölzes.
Die Fahrradreifen schlingerten schließlich durch lockeren Sand, feinen gelben Kies. Eine Strecke führte er das Rad noch, um es dann hinter dichtem Brombeergestrüpp zu verstecken. Noch einige Meter und er stand wieder an der steilen Abrißkante hinab zum großflächigen See mit seinem schmalen Uferstreifen und diesen von dort oben gut auszumachenden rötlichen und gelb-grünlichen Verfärbungen des Wassers in Ufernähe. Ein immer wieder frappierender Anblick.
Er lief dann diesen steilen, sandigen Absturz wie immer schräg, mal links, mal
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