Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
„hat der Iwan ja, wie auch hier bei uns, Marionettenregime eingesetzt. Und dann soll ich in dieses Potemkinsche Dorf, in diese Marionetten-CDU eintreten?“
„Ja, natürlich, wie ich schon sagte, wer beobachtet wird soll sich nicht wegducken. Angriff ist hier immer noch die beste Verteidigung. In die SED, mein lieber junger Freund, wärst du sowieso nicht gekommen.“
„Wieso denn SED?“ fragte Sebastian erstaunt, „was sollte ich dort?“
„Na, weil du gesagt hast, dann könntest du auch gleich in die SED eintreten. Das wäre natürlich die bessere Wahl. Aber das ist ein geschlossener Verein.“
„Na, bloß gut“, sagte Sebastian.
„Warum sollten wir denn nicht in die CDU eintreten?“ meldete Hans-Peter sich wieder zu Wort. „Mit solche Empfehlung“, dazu lächelte er kurz über den Tisch dem Pfarrer zu, „kriegen wir nie wieder.“
„Ich weiß nicht“, entgegnete Sebastian und blickte im Sessel zurückgelehnt gegen die Zimmerdecke, an der sich wie immer der Lichtkreis der Stehlampe abzeichnete, „gerade diese Empfehlung könnte bedenklich sein.“
„Unsinn“, sagte der Pfarrer, „ihr lenkt damit doch nur von eurer eigentlichen Mission ab. Ich wiederhole, beobachtet werdet ihr sowieso. So ein CDU-Beitritt mit meiner Empfehlung beruhigt die Stasi vielmehr als daß sie sie aufmerksam macht. Zumindest hinsichtlich deiner Person“, wandte er sich an Sebastian, „bestätigst du ihre Meinung und Erwartung doch nur auf harmlose Art. Daß wir hier zusammenkommen wissen die längst. Nur bekämen sie’s dann zusätzlich bestätigt und wären erstmal zufrieden. Ihr brauchtet euch auch nicht mehr hier ins Haus zu schleichen.“
„Was aber, wenn wir hochgehen, wenn die uns schnappen sollten“, fragte Hans-Peter, „könnte doch sein.“
Der Pfarrer lehnte sich in der Couch zurück. „Das wäre sehr schlimm“, sagte er, „aber ich würde dann von eurem Tun und Lassen nichts wissen.“
„Das wäre nur selbstverständlich“, erklärte Sebastian. „Darüber müssen wir hier weiter kein Wort verlieren.“
„Unter Folter auch?“ fragte der Pfarrer. „Da muß man euch nicht die Fingernägel ausreißen oder ähnliches. Monatelange Einzelhaft, Schlafentzug, Hunger sind mindestens ebenso wirksam…“
„Das haben wir schon öfter gehört“, sagte Hans-Peter.
„Ja, gehört, aber nicht erlebt.“
„Wir wollen gar nicht erst in diese Lage kommen“, meinte Sebastian.
„Das will ich gerne glauben“, sagte Pfarrer Kunzmann. „Ihr müßt hier aber taktisch denken, das heißt eben nicht um jeden Preis unauffällig sein zu wollen, damit fallt ihr erst recht auf, wie ich schon sagte. In die CDU und die anderen kleineren Parteien treten auch Leute ein, die sich vor einem SED-Beitritt drücken wollen, der Meinung, wenn sie in der CDU sind, kann man sie nicht mehr in die SED drängen. Das wird man euch nicht unterstellen, deshalb ist es eure christlich-kirchliche Einstellung, die sich hier zeigt. So haben die wenigstens was in der Hand. Damit kannst du allerdings wohl kaum Förster werden“, sagte er lachend zu Sebastian.
Der winkte nur ab.
„Und ob du das Abi schaffst“, wandte der Pfarrer sich nun an Hans-Peter, „steht dann in den Sternen. Allerdings hättest du im Falle des Falles den richtigen Vater aufzubieten. Aber da das für euch ja sowieso ohne Belang ist, steht einem CDU-Eintritt eigentlich nichts im Wege. So sehe ich’s jedenfalls.“
Dieser Eintritt vollzog sich dann auch leichter als beide sich das vorgestellt hatten. Im CDU-Ortsvorstand gab man sich sogar erfreut, als sie ihr „Beglaubigungsschreiben“ vorlegten. Und als die Freunde am Ende der Versammlung auch noch wegen eines Beitritts anfragten, ließ man sie prompt ein Antragsformular ausfüllen. Sie bekämen baldmöglichst von der Kreisleitung Bescheid, wurde ihnen gesagt.
„Genossen sind wir ja zum Glück nicht geworden“, stellte Sebastian fest.
„Brüder und Schwestern aber auch nicht“, warf Hans-Peter ein.
„Richtig, schließlich sind wir ja nicht Mitglieder bei den Zeugen Jehovas.“
„Um Gotteswillen“, entgegnete der Freund, „dann säßen wir ja in Kürze im Knast.“
57.
Es war ein trüber Tag Anfang Oktober, als Hans-Peter sich nach Schulschluß in Altdöbern eilig aufs Fahrrad schwang, um einer sich nähernden Regenfront womöglich noch zu entkommen. Kurz vor den Bahnschranken bei der Einfahrt nach Großräschen, die flachen hellen Wohnblöcke der GEWOBA im Blick, trafen ihn die ersten
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