Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
selbst, daß du da Blödsinn quatschst. Staat! Das ist doch kein Wert an sich. Dieser Spitzelstaat hier, der ist doch schon von innen her korrupt. Aber du kannst ja ruhig zur Stasi gehen, wenn du denkst, daß die dir’n Posten als Spitzel anbieten.“
„Unsinn, ich bin bloß sauer auf Pi-Pa-Po.“
„Das verstehe ich nicht“, sagte Sebastian, „jahrelang reden wir miteinander, sind uns überall einig – dachte ich jedenfalls – und dann fängst du an so’n Mist zu brabbeln. Wie kommst du bloß auf so’n Scheiß? Hast du das aus der Schule oder von deinem Alten?“
„Reg dich bloß nicht auf, das war doch alles nicht so ernst gemeint, ich bin eben sauer.“
„So hörte sich das aber nicht an.“
„Mich hat nur Pi-Pa-Po geärgert, keine Ahnung hat der, wie’s im Osten zugeht. Keine Gefahr sagt der. Woher weiß er das denn?“
Sebastian sah eine Weile aus dem Fenster. Vielleicht ist da wirklich was mit seinem Alten und der Schwester, überlegte er. „Genau genommen“, sagte er dann, „müßtest du das doch wissen, vonwegen Gefahr…“
„Ich hab’s doch gesagt“, erklärte Hans-Peter.
„Das verstehe ich trotzdem nicht. Weshalb fährst du dann wieder mit zurück, wenn du wirklich was von einer Gefahr weißt?“
„Weiß ich denn“, sagte Hans-Peter, „ob tatsächlich ‘ne Gefahr besteht? Aber Hoffmann“, fuhr er fort, „kann davon schon gar nichts wissen. Und sein Spruch, wir brauchen Leute drüben und nicht hier, der sagt doch schon alles. Dem ist es scheißegal, ob wir hopsgehen, er hat seinen Hintern in Sicherheit.“
„Na, ob das so sicher ist … Aber das bleibt ‘ne ganz andere Frage“, winkte Sebastian ab. „Klar brauchen die Leute im Osten“, fuhr er fort, „das ist doch logisch.“
„Aber nicht bloß auf unsere Kosten“, warf Hans-Peter ein.
„Tja, die Kostenfrage“, und Sebastian wiegte den Kopf, „aber das wußten wir schließlich.“
„Und wenn wir zur Stasi gehen?“ Dazu grinste Hans-Peter wieder ein wenig verlegen.
„Hör endlich damit auf. Das ist nun wirklich kein Spaß mehr.“
Wie kommt der bloß auf diesen Schwachsinn, der auch noch spaßig sein soll, überlegte Sebastian, während er wieder in die vorbeiziehende Landschaft hinausblickte und eine dunkle Wolkenwand im Auge behielt. Spielt da tatsächlich der alte Sasse eine Rolle? Aber warum wollte Hans-Peter dann gleich im Westen bleiben?
Auch Hans-Peter schwieg wieder und blickte zum Fenster hinaus. Ihn ärgerte noch immer, daß er nun wieder zurückfuhr, hatte er doch gehofft von Hoffmann eine Chance im Westen zu bekommen. Aber dessen Reaktion gleich zu Anfang hatte schnell alle geheimen Hoffnungen zerstört. Jetzt wartete wieder die Schule auf ihn und der herannahende Winter, die Fahrten nach Altdöbern früh im Dunkeln bei lausiger Kälte und auf spiegelglatter Chaussee. Eine Mathearbeit war bereits angekündigt und in Mathe stand er miserabel, in Physik auch und überhaupt hatte er mächtig nachgelassen, überall. Die Schule störte ihn mit ihren dämlichen Anforderungen. Wer brauchte so was außer Englisch, aber das hatte er viel zu kurz und es waren viel zu wenige Stunden.
Es wurmte ihn auch ziemlich, daß Sebastian ihn ausgelacht hatte. Er wurde von dem wie ein Spinner hingestellt und diese Belehrungen dauernd – oder das mit dem Verrat und dem Verräter … Der spinnt doch. Und der Westen? Von Hoffmann wußten sie, daß die dort nicht mal daran gedacht hatten hier einzugreifen, wie die Herren aus Pullach es ihnen ja schon mal gesagt hatten. Keiner will den Atomkrieg. Na bitte! So sind die hier im Osten doch unangreifbar, sagte Hans-Peter sich, und wir? Wir stehen ständig in Gefahr, um den Westen gegen die Russen zu schützen. Aber dann heißt es: Im Westen brauchen wir euch nicht. Und im Knast können wir euch auch nicht helfen. Was sind das für Aussichten?
Sebastian seinerseits beobachtete wieder aufmerksam die dunkle Wolkenwand, die sich inzwischen nahe herangeschoben hatte. Dann sah er auch schon die ersten Tropfen, die sich in langen Spuren schräg über die Fensterscheibe zogen. Im Abteil war es dunkel geworden.
„Ist ja richtig finster hier“, und Hans-Peter schlug das ‘Neue Deutschland’ zu, das er im Abteil vorgefunden hatte und warf die Zeitung ins Gepäcknetz über sich. „Steht nichts drin, nur bla-bla-bla … Was ist denn da los“, sagte er und beugte sich zum Fenster vor. Draußen zog ein grauer Schleier übers Land.
„Es gießt“, sagte Sebastian und über die
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