Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Kiefernzweigen nichts mehr.
„Hier is’ nüscht mehr zu machen“, erklärte der Fahrer. Die Gewichtsverhältnisse eines Treckers seien zu ungünstig, versuchte er zu erklären. Er werde den Hänger abkoppeln und einen LKW holen. Der Trecker kam dann ohne den Anhänger auch leicht wieder frei, fuhr rasch davon und sein Böllern im stillen Forst war in der Ferne noch lange zu hören.
Die beiden Eigentümer des Deputatholzes, das dort auf dem Hänger festgezurrt lag, saßen wartend auf einem verrotteten Stück Baumstamm am Wegrand und rauchten.
„Wir beide dürfen das ja“, sagte Sebastian grinsend und betrachtete dazu seine glimmende Zigarette.
„Wir sind ja Forstbeamte“, ergänzte der Arbeitskollege.
„Ja natürlich, Forsteleven!“ betonte Sebastian und lachte wieder.
„Du bist da sowieso eine glatte Fehlbesetzung“, erklärte Kollege Nuglisch.
„Aber immerhin, Deputat kriege ich trotzdem“, und Sebastian wies dazu mit dem Kopf in Richtung Hänger. Irgendwann traf auch der LKW ein und zog das abgerutschte Vehikel vorsichtig wieder auf festeren Grund. Dann fuhr er mit dem Hänger rasch davon und die beiden folgten auf ihren Rädern in schnell wachsendem Abstand.
Das tägliche Leben verlief wieder in ruhigen Bahnen. Die Verfrachtung der zwanzig Zentner zugeteilter Briketts durch das enge Fenster in den Kohlenkeller hatte schon länger auf Sebastians Aufgabenzettel an der Scheibe des Küchenschranks gestanden. Kohlen in den Keller stand dort, inzwischen mehrmals dick unterstrichen. Er hatte es immer wieder vertrödelt, hatte sich zu so einer langwierigen Schinderei nicht aufraffen können. Nun hatte er die Sache in Angriff genommen, war mit der Kohlengabel auf den hingeschütteten Haufen VEB-Tatkraft-Briketts losgegangen und hatte ihn geduldig Gabel für Gabel in den Keller expediert. Zehn Tage zuvor hätte er sich die Ausdauer zu einer solch sturen Tätigkeit noch nicht zugetraut. Mit Verwunderung war ihm das bewußt geworden. Die ständige Nervosität, an die er sich fast schon gewöhnt hatte, war einfach weg.
Und beim Einkaufen, auch immer wieder mal eine seiner Pflichten, die auf dem Zettel standen, regte er sich längst nicht mehr so auf, wenn sich die Liste seiner Mutter immer wieder als Inkarnation reinsten Wunschdenkens erwies. Und so empfand er es fast schon als Glückstag, wenn er auf Zuckermarken Kunsthonig bekam, rosa oder gelbe Würfel in Pergamentpapier, die man auch gut teilen oder vierteln konnte. Margarine war halt ein Dauerproblem. Butter gab es sowieso kaum oder selten mal in der HO, doch wenn, dann eben zu schon sprichwörtlich gewordenen HO-Preisen.
Sebastian blätterte jetzt öfter wieder mal in Zeitungen, worauf er längere Zeit verzichtet hatte. Da las er dann wiederkehrend Meldungen von der „Erntefront“ in der Landwirtschaft, der absehbaren Übererfüllung der Kartoffelerntenormen, den Selbstverpflichtungen vor allem der LPG-Bauern in irgendwelchen Lausitzer Dörfern, von einer erfolgreichen Getreideernte las er und einer Steigerung bei den Ölsaaten.
Zur „Erntefront“ gesellte sich die „Winterschlacht“ im Braunkohletagebau, denn Väterchen Frost war bösartig, wie es der Markscheider bei Richard in Drei Linden geschildert hatte: Die Braunkohle ist feucht und bei Frost vereist der ganze Tagebau, die Baggerschaufeln greifen nicht mehr. Schließlich haben sie, erzählte er schmunzelnd, die Kohleflöze mit heißem Wasser aufgetaut. Bald danach waren dann nicht nur die Flöze schlimmer als vorher vereist, sondern auch große Teile des Tagebaugeländes. Der tiefgefrorene Boden hatte das ganze Wasser einfach nicht aufnehmen können. Die Folge: Eine geschlossene Eisdecke legte den Verkehr der Grubenbahnen lahm. An die Weichen wurden Brände gelegt, um sie aufzutauen. Man sprengte schließlich die Flöze mit Dynamit auseinander. Wenn dann die Brocken nicht schnell genug eingesammelt wurden, froren sie am Boden fest.
Die Ladungen ganzer Kohlezüge waren völlig vereist und konnten nicht gelöscht werden. Versuchte Sprengungen auch dort beschädigten lediglich die Waggons, von denen man sowieso nicht genügend hatte. Das stand allerdings nicht in den Zeitungen, das erzählten sich die Beteiligten und Betroffenen nur unter der Hand. In den volkseigenen Gazetten war ausschließlich von Erfolgen die Rede.
60.
Hans-Peter war nach der Schule mit dem Fahrrad ins Kippengelände gefahren. Dort rutschte er dann mehr als er ging über die steilen Sandhänge und tief
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