Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
war nun fest entschlossen mit ihm zu reden.
Sie schwebten zwar nicht in direkter Gefahr, Sebastian und er, aber sein Vater war mehr als nur mißtrauisch geworden und was Irene für eine Rolle spielte, wenn sie denn eine spielte, wußte er überhaupt nicht. Auch was Sebastian dazu sagen würde war ihm noch schleierhaft, meinte der doch weiterhin es sei seine Pflicht gegen dieses System vorzugehen.
Klar ist das hier eine Diktatur ging es ihm durch den Kopf, die demokratische Republik ist ein bloßes Täuschungsmanöver und beim Iwan ist es nicht anders. Doch hatte das den Westen damals nicht abgehalten mit Stalin zu paktieren… Na gut, der Westen brauchte seinerzeit den Iwan und der den Westen. Wenn die das aber konnten, also die Amis, die Engländer… kann ich das auch, sagte Hans-Peter sich. Wenn der Zweck die Mittel heiligt, warum dann nicht auch meine?
Sebastian kann ja mitmachen. Bisher war ich’s immer, jetzt geht’s mal anders rum. Und Pi-Pa-Po ist selber schuld. Die freie Welt vor dem Einbruch des Kommunismus retten? Das sagen die so. Und die Partei hier will den Weltfrieden und dafür immer auch den gerechten Krieg, wenn’s denn sein müsste … Und so verhedderten sich seine Gedanken und Vorstellungen allmählich immer mehr.
Sein Vater, Stasivertrauter, war stellvertretender Parteisekretär der VEB Bauunion Senftenberg. Das alles wußte der Sohn ja und so war ihm schon ziemlich mulmig dort auf dem Fahrrad, als er durch Großräschen fuhr und dann am Haus vorbei, in dem sein Freund wohnte. Hätte er ihm zuvor sagen sollen, was er jetzt vorhatte? Aber klar war ihm auch, daß er eine Auseinandersetzung mit Sebastian noch mehr scheute als die bevorstehende Aussprache mit seinem Vater. Er brauchte Klarheit, bevor er mit Sebastian reden würde.
Und so kam es dann auch zur Aussprache mit dem Vater und Hans-Peter erzählte ihm von Hoffmann, vom Nachrichtendienst und den Fahrten zu verschiedenen Objekten. Der alte Sasse hörte sich das Ganze schweigend an, bis der Junge seinen Bericht beendet hatte und leicht verunsichert zum Vater hinsah, der sich mit einer Stellungnahme Zeit ließ. Er spielte bewußt gelangweilt mit einem Briefbeschwerer auf seinem Schreibtisch, einer Glaskugel, die in ihrem Inneren ein Häuschen und einen Tannenbaum zeigte. Wenn man sie schüttelte durchwirbelte sie ein Schneegestöber. Dann sah er den Sohn an. „Und jetzt ist dir dieser Verrat an der Arbeiterklasse und am Weltfrieden zu brenzlig geworden?“
Der nickte.
„Und du willst nun wissen, wie du wieder rauskommst?“
„Ja, schon“, sagte Hans-Peter.
„Ich hab’ so was ähnliches längst geahnt“, erklärte der alte Sasse, drehte dazu die Glaskugel einmal hin, einmal her und stellte sie auf den Schreibtisch zurück. Wieder hüllte ein Schneegestöber Haus und Tanne ein.
Dort ist immer Winter, ging es Hans-Peter durch den Kopf und ihm fiel ein, was er vor ein paar Tagen geträumt hatte: Schnee, viel Schnee und Sebastian, der seine grüne Mütze mit dem goldfarbenen Forstemblem trug, stieg vor ihm Schritt für Schritt einen steilen Hang hinauf, der sich unter ihnen tief hinab in grauer Finsternis verlor.
Es wurde steiler und steiler und er sah Sebastian, wie der, die Stiefelspitzen tief in die Schneewand gestoßen, stehen blieb und den Schnee abtastete. Das könne alles wegbrechen, signalisierte ihm der Freund.
Dann sah er sich selbst, wie er trotz der Warnung seitwärts an ihm vorbei stieg. Er hörte ihn nicht eigentlich, aber im Traum verständigt man sich ja über Gedanken.
Geh’ nicht weiter, sagte Sebastian, bleib stehen …
Doch er wollte jetzt rasch ganz hinauf, fort von dieser Steilwand.
Nicht dorthin, ließ ihn der Freund wissen, sie müßten ganz nach rechts, dort sei der Schnee fest.
Dann sah er wieder sich selbst, wie er dennoch seitwärts weiter stieg und dabei den Kopf schüttelte: Nein! Schließlich brach die Wand umher weg und dichtes Schneegestöber umwirbelte ihn, ähnlich wie dort in seines Vaters Glaskugel. Als der Schnee sich wieder gelegt hatte, sah alles anders aus. Der Freund war verschwunden und ihm blieb nur noch ein ganz schmaler Grat, der sich seitwärts in grauem Traumlicht verlor. Kein schöner Traum und er hatte ihn Sebastian auch nicht erzählt. Träume sind Schäume, nichts weiter.
„Wie bist du eigentlich da reingeraten“, hörte er schließlich den Vater wieder, „und was ist mit dem jungen Sebaldt, was spielt der dabei für ‘ne Rolle?“
„Na, der hat den Hoffmann doch
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