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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Frühstück, sagte er sich und besah skeptisch die beiden kleinen Scheiben feuchten Brotes, nahm sich aber vor alles bis auf’s letzte Krümel aufzuessen. Er würde, das war ihm klar, seine ganze Kraft noch brauchen. Auf dem Pritschenrand sitzend roch er am Aluminiumbecher. Ein eigenartiger Geruch. Das sollte wohl Malzkaffee sein. Dann untersuchte er das Brot und den Aufstrich, zu dessen Verwendung er nur einen Löffel erhalten hatte. Vierfruchtmarmelade mit Blättern, Stielen und Kernen. Da er seit vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen hatte, stopfte er sich Brot, Margarine und Marmelade rasch in den Mund und spülte alles mit diesem lauwarmen Gebräu hinunter.
    Als er glaubte in diesem frühen Dämmerlicht noch etwas Ruhe zu haben, den Rücken gegen die Matratze und den Kopf gegen die Wand gelehnt, schreckte ihn wieder das Krachen der Schlösser im ganzen Bau aus dösendem Halbschlaf.

    Verflixt nochmal, was war denn jetzt schon wieder!
    „Kaffeebecher raus! Los, los, los … auf den Boden“, und der Schließer zeigte mit dem Schlüssel auf den Gang neben der Tür. Dann wieder die völlige Stille. Schließlich das leise Kratzen an der Wand. Sebastian meldete sich mit einem zweimaligen kurzen Doppelschlag und wartete. Dann schnelle Klopfzeichen, die sich zu einem Namen formten: Paul
    Wie alt? fragte er zurück.
    Zweiunddreißig, kam die Antwort.
    Warum hier?
    KgU.
    Bei mir Gehlen, klopfte Sebastian.
    Wie alt?
    Achtzehn.
    Und woher?
    Großräschen, und du?
    Brandenburg.
    Was rechnest du?
    Zwölf bis fünfzehn Jahre.
    Wie lange hier?
    Drei Monate. Und du?
    Einen Tag.
    Kopf hoch, kam es zurück.
    Es war auf einmal heller in der Zelle, so empfand Sebastian es wenigstens und er sah sich um: Die Wände in ganz dunklem Graugrün bis oben unter die Decke.
    Und dann entdeckte er feine Striche, mit einem spitzen Gegenstand in die Ölfarbe geritzt, immer vier und einen quer … Tage? Er zählte elf Fünferbündel und zwei Striche. Du meine Güte, siebenundfünfzig Tage. Eine andere Reihe zählte nur sechzehn Tage, aber was war das alles schon gegen die späteren Jahre, die ihn erwarteten …
    Und das graue Tageslicht vom Fenster her glänzte in der dunklen Farbe matt auf, wenn er den Kopf bewegte oder an der Wand vorbeiging, soweit das in diesem engen Zellenschacht überhaupt möglich war, in dem man nur im Kreise oder, damit einem nicht schwindlig wurde, in einer engen Acht laufen konnte.

    Im Revers seines Jacketts hatte er eine Stecknadel mit gelbem Glaskopf gefunden, die er irgendwann einmal dort hineingesteckt haben mußte und die beim Filzen seiner Sachen nicht entdeckt worden war. Er blieb stehen, zog sie heraus und ritzte damit seine Zeit, nämlich zwei feine Striche, in die Ölfarbe der Wand, immerhin war er doch schon den zweiten Tag hier. Aber siebenundfünfzig?
    Jedes Mal, wenn auf seiner Station ein Schloß krachte und Riegel klirrten schreckte er zusammen. Ja, er fürchtete die böse Hakelei um jedes Wort. Und selbstverständlich bangte ihm vor immer neuem Wissen, mit dem die Stasi irgendwann auftrumpfen könnte, von dem er jedoch nicht wußte, woher sie es hatten. Und das Erschrecken, wenn dann seine eh schon fragilen Leugnungskonstruktionen wieder mal zusammenfielen. Alles stand ja erst am Anfang und um seine Chancen war es schlecht bestellt, sehr schlecht… Hier war er völlig isoliert, da gab’s nur noch Gottvertrauen. Ja, Kopf hoch, so würde er es halten.

    Und weiter lief er, die Hände auf dem Rücken verschränkt, seine engen Achten. Eigentlich drehte er sich dabei immer nur um sich selbst, einmal links- und einmal rechtsherum. Die Zeit in diesem Schacht verging ganz schnell oder schlich unendlich langsam dahin, je nach seiner schwankenden momentanen Verfassung.
    Als zu Mittag große Metallkessel transportiert und irgendwo zu Boden gestellt wurden, dröhnte das über die Lichtschächte durchs ganze Haus, dazu das Geklapper vieler Blechschüsseln. Muß wohl das Mittagessen sein, sagte er sich und das war es dann auch, eine wässerige Weißkohlsuppe in einer reichlich demolierten Emailleschüssel, die er auf die Pritsche stellte, sich daneben setzte und etwas darüber gebeugt den Inhalt mit dem Aluminiumlöffel bedächtig zu sich nahm. Der Kohl ist verkocht, stellte er fest und absolut nicht gesalzen. Dennoch löffelte er diese Suppe bis zum allerkleinsten Rest in sich hinein. Überleben war schließlich alles. Was eßbar war würde er essen, jetzt und künftig.
    Nachdem er dann Schüssel und

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