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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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einem was erzählt haben und der wieder einem anderen und dann hat’s eben nach Jahren auch die Stasi erfahren.“
    Über die Weihnachtstage erzählte Kettelhut von seiner Familie. „Die Vernehmer“, sagte er, „meinten, die wissen zu Hause nicht wo ich bin, aber meine Frau kennt ja meine Einstellung.“
    „Wußte die denn von Euren Ballonaktionen?“
    „Nein, davon habe ich nie gesprochen.“
    „Aber später doch bestimmt davon erzählt.“
    „Ja schon, aber erst sehr viel später“, stimmte Kettelhut zögernd zu.
    Mitwisserschaft, sagte Hans-Peter sich, das wird den Hauptmann interessieren, dazu kommt vielleicht noch der eine oder andere in Belzig… Das sollen die aber selber rauskriegen. Ich muß hier in dem stinkigen Loch sitzen und denen dann auch noch alles servieren. Hin und wieder dachte er an Sebastian, der ja jetzt auch in so einem stinkigen Loch saß. Selber schuld, sagte er sich dann. Dennoch verließ er sich fest darauf, daß der einstige Freund nur das zugeben würde, was sie ihm anhand seiner, Hans-Peters Aussagen, nachweisen konnten.

    69.

    Nachdem der Drogist aus Kamenz nicht mehr in die Zelle zurück gebracht worden war, blieb Sebastian wieder allein. Heiligabend ging tagsüber der Schatten des hohen Schornsteins dort draußen über die dunklen Wände seiner Zelle und nahm so dem Verlies ein wenig vom Eindruck einer Gruft. Offensichtlich hatten auch die Vernehmer Weihnachtsurlaub. Kaum einmal krachte nämlich ein Schloß in die fast vollständige Stille, die, außer bei der Essensausgabe, dem Kübeln und der Zählung den ganzen Bau beherrschte. Sebastian nahm sich vor möglichst nicht irgendwelchen Weihnachtserinnerungen nachzuhängen, um ein Gefühl von Leere und Traurigkeit gar nicht erst aufkommen zu lassen. Er lenkte sich mit Klopfen ab, indem er seinen Zellennachbarn in einem Anflug von Galgenhumor fröhliche Weihnachten wünschte. Die revanchierten sich mit frohes Fest oder, ein wenig zweideutig, mit schöne Bescherung. Im Prinzip war er einverstanden damit, allein in der Zelle zu sein.
    Dieser Zustand hielt dann auch weiter an. Silvester lag er nachts lange wach unter der ranzigen Decke. Nur wenn er den Wärter auf dem Gang draußen heranschleichen hörte, legte er die Hände nach Vorschrift darauf, um sie danach gleich wieder darunter zu schieben. Er wollte bis zum Übergang ins neue Jahr 1954 wach bleiben. Vom Liegen tat ihm allmählich der Rücken weh, der vom harten Holz der Pritsche malträtiert wurde. Und so wälzte er sich immer wieder von der einen auf die andere Seite. In Rückenlage hielt er es schließlich nur noch kurze Zeit aus. Irgendwann verkrampfte sich zu allem Übel auch noch ein Bein, so daß es, steinhart geworden, fast unerträglich schmerzte. Das nähere und fernere Glockenläuten mehrerer Cottbusser Kirchen zeigte ihm dann den Jahreswechsel an.
    Dieser „Rutsch“ in ein neues Jahr, meinte er, stände für ihn ja nicht gerade unter einem guten Stern und so war die Silvesternacht 1952/53 wohl für lange Zeit die letzte in Freiheit gewesen. Damals im Altdöberner Schützenhaus: Es war nicht sehr kalt und es lag kein Schnee erinnerte er sich. Er war mit seinem Schulfreund und Arbeitskollegen Nuglisch per Fahrrad am Abend die zehn Kilometer nach Altdöbern gefahren, eine Flasche Pfefferminzlikör in der Joppentasche. Natürlich durften sie damit nicht im Lokal erscheinen, doch da dies nahe am Waldrand lag, mußten sie nur ein paar Schritte gehen, um die Flasche hinter einem Baum zu verstecken. Das sollte der Aufbesserung ihres knappen Silversterbudgets dienen.
    Und so gingen sie vom Tresen, an dem sie ihr Bier tranken, hin und wieder nach draußen und nahmen sich dort die Likörflasche zur Brust. Die Wirkung dieser Mischung setzte nicht gleich ein und so liefen sie immer wieder mal quietschvergnügt aus dem warmen Schankraum hinaus in die kalte Silvesternacht. Das ging einige Male gut erinnerte er sich, bis die Beine beim letzten Ausflug zur Pfefferminzlikörflasche den Rückweg verweigerten.
    Erstmal ausruhen und den Schwindel im Kopf beruhigen. Nur ganz kurz meinten beide, als sie sich auf den Waldboden streckten. Irgendwann wieder wach geworden vernahmen sie das Brabbeln Betrunkener sowie vereinzelte hoffnungslose Versuche sich in der Gesangeskunst zu üben. Bei sporadischen Prosit-Neujahr-Rufen kamen sie rasch auf die Beine, wenn auch noch etwas taumelig, wie er sich erinnerte. Schließlich wollten sie den Beginn des neuen Jahres doch nicht

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