Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
in weiter Ferne lag, im Westen wäre es dann unendlich weit. Alles seine Schuld, sagte er sich. Ähnliche Gefühle bedrückten ihn, wenn er an Totila dachte. Und so ritzte er von da an mit der Nadel in jeden Aluminiumlöffel sein Monogramm, in der Hoffnung, auf diesem Wege womöglich Antwort von Totila zu erhalten. Alles wurde schließlich mit diesen Löffeln gegessen, ganz gleich, ob es sich um Pellkartoffeln oder Weißkohlsuppe handelte. Er mußte wissen: Hatten sie Totila wirklich oder hatte der noch rechtzeitig aus Potsdam verschwinden können?
Eines Tages trat sie dann ein, die Gewißheit. Im Stiel eines Löffels las er die eingeritzten Buchstaben: TK, WM, SS, HS, also hatten sie ihn doch, Totila Kunzmann, war auch er verraten worden. Wer aber war WM? Niemand, den er kannte, so viel er auch nachdachte.Wolfgang Nuglisch konnte das unmöglich sein. Hans-Peter und Totila, sicher hatten die den Vernehmern schon so manches erzählt. Aber das Leck, überlegte er immer wieder, das konnte sich eigentlich nur im Westen befinden. Gar nicht erstaunlich sagte er sich, wenn sich dort alle so leichtsinnig wie Pi-Pa-Po verhielten.
Die sonnigen Tage des neuen Jahres gingen dahin und Sebastian blieb allein, kein Schließer holte ihn. Immer wieder dröhnten die Schlösser durch den Bau, auch in seiner Nähe, so als würde geschossen. Wenn das Krachen sehr nahe kam, fuhr er erschreckt zusammen. Er wollte schon, daß es weiter ging mit den Verhören, um Gewißheit zu bekommen, andererseits war er aber auch froh, wenn es wieder mal an ihm vorübergegangen war. Es zogen auch wieder graue Tage herauf, in der engen Zelle wurde es finster. Schließlich erschien wieder die schmale weißgraue Kante am unteren Fensterrand. Es hatte über Nacht geschneit.
71.
Eines Tages wurde dann ein Unterleutnant der Volksmarine, das jedenfalls behauptete der, in Sebastians Zelle verlegt. Der sang und summte zu Anfang ständig einen amerikanischen Schlager vor sich hin, in dem ein Mister Moneymaker vorkam, auch war in seinen oft wirren Reden, so empfand es Sebastian zumindest, von einer Dienststelle Blank die Rede. Das ist doch im Westen? Was diese immer wieder mal eingestreuten Bemerkungen und Gesangseinlagen von Blank und Moneymaker bedeuten sollten wurde Sebastian erst langsam klar, als er dabei an die Stasi dachte, die offensichtlich herumrätselte, wer sein und Hans-Peters Auftraggeber wirklich gewesen sein könnte. Beim Verhör hatte er stets erklärt, das wisse er nicht. Ähnlich hatten sich augenscheinlich Sasse, aus welchen Gründen auch immer, und Totila verhalten. Also war dieser von Mister Moneymaker singende Unterleutnant der Volksmarine mit ziemlicher Sicherheit ein Spitzel, schon, weil er von sich selbst nichts Greifbares erzählte, auch nicht, weshalb er dort saß. Einige Male wurde er zur Vernehmung geholt wie er erklärte, bis auch er eines Tages nicht mehr wieder kam.
Nach einigen Tagen kam ein weiterer Volksarmist in seine Zelle, ein Gefreiter, einer, dem man Fahnenflucht und Geheimnisverrat vorwarf, wie er erzählte. Es war dies ein schüchterner, schmaler, blonder Typ, der Maurer gelernt hatte. Er sei, erzählte er Sebastian, nach einem Urlaub nicht mehr in seine Einheit zurückgekehrt, sondern habe sich zu Hause im Thüringischen Ruhla in einer Gartenlaube versteckt gehalten. Er sei dann in den Bergen, die er gut kannte, über die Grenze in den Westen geflüchtet. In der Armee sei er ständig schikaniert worden und so habe er es dort einfach nicht mehr ausgehalten.
„Im Westen habe ich’s gut gehabt“, erzählte er dann. „In Bayreuth wurde mir eine Neubauwohnung zugeteilt, in der Siedlung, die wir dort gerade gebaut hatten. Töpfe und Geschirr und Möbel haben mir die Leute aus dem Ort geschenkt. Ich habe nicht schlecht verdient und mit den Kollegen bin ich auch gut ausgekommen.“
„Warum bist du dann um Himmelswillen nicht da geblieben?“
„Heimweh“, erklärte der Rückkehrer.
„Wie lange warst du denn drüben?“
„Gut acht Monate.“
„Wahrscheinlich zu kurz“, sagte Sebastian und wiegte den Kopf. „Heimweh läßt ja mit der Zeit nach.“
„Du hast gut reden“, entgegnete der andere, der den Westen erlebt hatte und seine Rückkehr bereits bitter bereute. „Acht Monate können verdammt lang sein.“
Beide saßen sich auf der Pritsche gegenüber. „Die Leute dort sind anders als bei uns. Viele haben schon ein Auto oder wenigstens einen Kabinenroller.“
„Was ist denn ein
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