Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
böte in solchen Fällen überhaupt keine rechtliche Handhabe. Nur nutzt Ihnen das dort im Osten gar nichts. Sie müßten mit zehn bis fünfzehn Jahren rechnen. Das gilt, ganz gleich, ob jemand achtzehn oder achtzig ist. Also, das erst einmal. Ich mußte es Ihnen sagen.“ Dabei schüttelte er Zigaretten aus einer Packung, die er den Freunden anbot. Ein Feuerzeug blitzte in seiner Hand auf, ein ganz feiner Geruch verbrannten Benzins zog über den Tisch. Hoffmann zog den Rauch tief ein. „Ihren Idealismus in allen Ehren“, sagte er, „ich nehme Ihnen den ab, aber auch Ihre Empörung.“ Dabei nickte er Sebastian zu. „Und noch etwas: die Zusammenarbeit zweier Leute, die sich kennen, gibt es bei uns eigentlich nicht. Zu viele Unsicherheitsfaktoren. Je weniger einer weiß, um so sicherer für alle. Ich muß aber erst noch hören, was meine vorgesetzte Stelle sagt und bin mir durchaus nicht sicher, ob von dort Zustimmung kommt. Und nun noch etwas, vielleicht nicht Unwichtiges, also ganz allgemein, eine Bezahlung gibt es nicht.“
„Darum geht es uns gar nicht“, erklärte Sebastian, und Hans-Peter nickte dazu.
„Für Geld tun wir das nicht“, sagte er.
„Ihre Auslagen würden Ihnen natürlich ersetzt werden“, sagte Hoffmann, „über Spesen in D-Mark, also für Hotelkosten, Verpflegung und Fahrkarten...Sie würden ja manchmal unterwegs sein müssen.“ „Das haben wir uns schon gedacht“, sagte Hans-Peter.
„Natürlich. In Großräschen ist ja so viel nicht los, oder?“ fragte Hoffmann lachend.
„Nee, los ist da nicht allzu viel“ – und Sebastian sah in diesem Moment Großräschen vor sich:
Der Kohlendreck überall, das gleichförmige Tacken der Brikettpressen Tag und Nacht, die niedrigen Häuser – prächtige Villen gab es allerdings auch. Aber das Schönste waren noch die ausgedehnten Kiefernwälder und eben die Kippen. Das weite Tagebaugelände sah er vor sich, Abenteuerspielplatz der Kindheit...Er schüttelte den Kopf, „außer Braunkohle“, sagte er, „gibt’s da nichts, eine Ziegelei vielleicht noch, eine Glasfabrik...“ Er öffnete die Hände, hob die Schultern, schüttelte lächelnd den Kopf, „das war’s dann schon. Für die große Politik nicht sehr bedeutsam, doch für den, der da wohnt, kann es schon schlimm sein“, erklärte er, ein wenig Nachdenklichkeit in der Stimme. „Aber das kann wohl nur verstehen, wer da leben muß. Das ist auch nicht Großräschen, nein, Großräschen war mal anders, das ist der Osten. Aber das ist ja jetzt hier nicht wichtig.“
„Schon wichtig, auch für die große Politik“, sagte Hoffmann, „die spielt sich überall ab, ob in Großräschen oder hier jetzt an diesem Tisch. Große Politik, wie Sie das nennen, gibt es nur, weil Politik sich ganz real immer im Detail abspielt.“
„Das sehen die im Osten aber auch so“, warf Hans-Peter ein. „Alles ist Politik“, sagen die, „alles, was jeder tut, sagt, denkt...“
„Und deshalb ja auch die Spitzelei und Überwachung“, mischte Sebastian sich ein.
„Ja, die haben ihr Feindbild weit gegriffen“, sagte Hoffmann nachdrücklich. „Schnell gerät man dort ins Visier. Auch dem Arbeiter, dem Kleinbürger darf man nicht trauen. Und daher meinte ja auch der große Lenin schon: ‘Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser’.“
„Na schön, aber wie die Kontrolle sich abspielt, das ist schon beleidigend“, betonte Sebastian.
Durch die Fenster sah man draußen den Verkehr auf der Königsallee. Dort rollten lautlos viele Autos über die glatte Fahrbahn, neue Autos, die es nur im Westen gab. Immer wieder sah man diese seltsam buckligen Fahrzeuge in vielen Farben. So richtig wie Autos sahen die allerdings nicht aus. Hoffmann bezeichnete sie als Käfer. Ein ulkiger Name, aber durchaus passend.
Schließlich verabredete man sich für den fünfzehnten Februar. „Sie rufen wieder an“, sagte Hoffmann. Dann bezahlte er den beiden in einer glatten Summe die Fahrkarten in Westgeld. „Das sind Ihre Auslagen“, sagte er, „keinerlei Bezahlung. Sie können das ruhig annehmen.“ Er müsse sich noch an seine vorgesetzte Stelle wenden, um zu hören, wie die sich nun „hinsichtlich Ihrer Mitarbeit“ entscheiden würden.
Alles war gesagt. Man verließ das Lokal, verabschiedete sich draußen mit Handschlag, ging noch kurz gemeinsam ein paar Meter, bis Hoffmann in die Hagenstraße abbog. Die Freunde überquerten die Königsallee und gingen auf der Fontanestraße direkt zum S-Bahnhof Grunewald. Da
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