Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Glaube aber bloß nicht, daß viele von denen da in den Osten gehen würden.“
„Wo es jedenfalls Arbeit gibt“, widersprach Hans-Peter.
„Arbeit? Na ja, aber was für Arbeit. Das dort sind doch Bürgerliche, wie du ganz richtig fest-gestellt hast“, und Sebastian wies mit dem Daumen über die Schulter zurück. „Bürgerliche Elemente, wie es bei uns heißt, die schippen lieber ab und zu im Westen Schnee, als im Osten im Tagebau oder als Steinehucker in der Stalinallee zu schuften.“
„Der Osten braucht doch aber auch dringend Spezialisten“, erklärte Hans-Peter.
„Ja, vielleicht Ingenieure, Architekten und so … aber denk’ doch mal beispielsweise an Historiker, wo doch bei uns die eigentliche Geschichte der Menschheit, wie du aus der Schule weißt, erst mit der Arbeiterbewegung beginnt. Was soll so’n bürgerlicher Historiker denn im Osten? Der könnte dort nur klassenfeindliche Meinungen vertreten. Oder ein Wirtschaftler? Was soll ein bürgerlich-kapitalistischer Ökonom in einer sozialistischen Planwirtschaft?“
„Wie meinst du das genau?“
„Na, kein volkseigener Betrieb hat ja eigene Befugnisse. Alles wird zentral vom Ministerium in Ostberlin gelenkt.“
„Ach so meinst du das. Trotzdem weiß ich nicht, ob volkseigen nicht doch besser als kapitalistisch ist.“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Da denk’ doch nur mal an die frühere Ilse-AG“, warf er ein. „Die waren doch sozialer als jeder Sozialismus auf der Welt.“
„Das sagst du!“
„Warten wir’s einfach mal ab, das wird sich alles noch zeigen, auch wenn’s viele Jahre dauern sollte. Aber ich glaube, dort drüben“, und Sebastian wies mit dem Kopf über die Straße, „da ist das genannte Restaurant.“
„Na dann mal rüber“, und beide überquerten die glattgefahrene Straße.
„Ich bin ja wirklich gespannt“, sagte Hans-Peter laut. Und bei sich überlegte er, was jetzt wohl werden würde. Er stand der ganzen Angelegenheit noch immer ein wenig skeptisch gegenüber, obwohl er sich das nicht anmerken ließ. Aber warum sollte gerade Sebastian so einen Mann rein zufällig beim Zigarettenkauf kennengelernt haben? Eigentlich ganz unwahrscheinlich, das alles.
Das Lokal erwies sich nicht nur von außen, sondern auch innen als ein solide eingerichtetes geräumiges Restaurant. Durch hohe Fenster fiel auch an trüben Wintertagen noch viel nüchternes Tageslicht. Die Freunde nahmen an einem Tisch in der Nähe der Fenster Platz. Sebastian hängte seine Joppe hinter sich über die Stuhllehne. Er saß dann dort in einem dicken grauen Pullover, den seine Großmutter aus einem alten Wollkleid gestrickt hatte. Hans-Peter bibberte noch in seiner relativ dünnen Schuljacke. Sebastian rieb sich die kalten Ohren und Hans-Peter die frostklammen Hände. Jetzt heißen Kaffee, waren sich beide einig, als der Ober an den Tisch trat. Das Lokal war gut zu überblicken und Hoffmann jedenfalls noch nicht da.
Eine Viertelstunde verging und noch eine. Sebastian sah auf seine Armbanduhr. Ihren Kaffee hatten sie längst ausgetrunken. Beide saßen so, daß sie den Eingang im Blick hatten. Dazwischen standen hohe Raumteiler, die mit Kletterpflanzen bewachsen waren, doch man konnte gut hindurchsehen.
Und da stand schließlich auch Hoffmann, blickte ins Lokal, nickte kurz, kam durch den Raum und begrüßte lächelnd Sebastian, der seinen angekündigten Freund Hans-Peter Sasse vorstellte.
„Nun, meine Herren“, sagte Hoffmann, indem er sich seinen dunkelblauen Wintermantel auszog, über einen leeren Stuhl warf und sich den Freunden gegenüber am Tisch niederließ. „Also über Herrn Sebaldts Anruf war ich nicht so sehr erstaunt, aber daß Sie nun gleich im Doppelpack anrücken, damit hatte ich nicht gerechnet.“ Dazu betrachtete er die Freunde interessiert. Weswegen sie denn nun gekommen seien, wollte er schließlich wissen.
Sebastian fühlte sich unangenehm berührt. Er wollte sich schließlich nicht aufdrängen. „Ja also“, versuchte er zu erklären, „ich meine, na, wegen des Nachrichtendienstes...“
„Wie kommen Sie darauf?“ Dabei zündete Hoffmann sich eine Zigarette an und bot die Schachtel auch den beiden, die sich dankend bedienten.
Sebastian wies auf die Gespräche beim Treffen im November im Kaffeestübchen und im Hageneck hin.
Hoffmann schüttelte lächelnd den Kopf mit der Frage: „Wie alt sind sie denn nun wirklich?“ „Siebzehn“, erklärte Hans-Peter.
„Ich werde im Sommer achtzehn“, versuchte Sebastian die
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