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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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machten. In Königswusterhausen stiegen sie in die S-Bahn um. Irene wollten sie nicht aufsuchen. Es war ein grauer Tag, nur das leuchtende Weiß frisch gefallenen Schnees machte alles freundlicher und Sebastian hatte wieder das Gefühl im Westen in einer anderen Welt zu sein, in einer größeren, helleren Welt. Aus einer Telefonzelle gleich am Bahnhof Grunewald rief er die von Hoffmann erhaltene Nummer an. Bedächtig drehte er die Wählscheibe Zahl für Zahl – lange Nummern haben die in Berlin.
    Hans-Peter sah gespannt zu, starrte auf die Finger Sebastians. Es war kalt in der Telefonzelle, ihre Atemluft kondensierte sofort zu feinem Nebel. Dann das Tuten im Hörer. Die Nummer erwies sich als Anschluß – wer würde sich melden? Und wenn es nicht Hoffmann war, was sollte er sagen? Am besten nach Hoffmann fragen, das konnte auf keinen Fall falsch sein. Dann die Stimme Hoffmanns am Telefon. Dabei bemerkte Sebastian, daß er doch ein klein wenig an dessen Wirklichkeit gezweifelt hatte.
    „Sebaldt“, sagte Sebastian. „Vielleicht erinnern Sie sich noch- im November, das Kaffeestübchen am Roseneck …“
    „Ja, natürlich erinnere ich mich“, hörte er die Stimme am Telefon.
    „Ich bin jetzt hier am Bahnhof Grunewald“, sagte Sebastian.
    „Einen Moment“, dann ein Rauschen im Hörer und kurz darauf wieder Hoffmanns Stimme, die den Namen eines Lokals nannte und den Weg dorthin beschrieb.
    „Da ist aber noch was“, sagte Sebastian, „ich habe einen Freund mitgebracht. Der denkt wie ich und weiß Bescheid.“ Sebastian meinte ein Zögern auf der Gegenseite zu verspüren.
    Dann, nach einigen Augenblicken, wieder Hoffmanns Stimme: Er solle den Freund in Gottes Namen mitbringen, wenn er schon da sei. Ganz zufrieden hörte sich das nicht an. Wie aber hätte er vorher anfragen sollen? Niemand, den er kannte, hatte ja Telefon. Auch würde man vom Osten aus Westberlin sowieso nicht erreichen können. Telefone im Osten gab’s nur in Betrieben, bei Behörden und bei der Post natürlich, in Postämtern, aber auch nur wenn man Glück hatte. Jeder wußte bereits von der Abhörpraxis der Stasi. Kein Telefongespräch war da sicher. „Ich hoffe, der ist deinetwegen nicht zu sauer“, sagte er zu seinem Freund, nachdem er den Hörer wieder eingehängt und den Westgroschen klappern gehört hatte. „Wir überfallen ihn wohl mit deiner Anwesenheit.“
    Schließlich traten beide aus dem gläsernen Telefonhäuschen und ließen die Tür mit leisem Knarren hinter sich zufallen. „Früher, da hatten wir natürlich Telefon zu Hause und haben damit als Kinder auch Blödsinn gemacht“, sagte er grinsend. „Heute ist alles sehr umständlich, nirgends ein Telefon und hier stehen sie an der Straße rum.“
    „Wenn’s nicht klappt, also wenn der was dagegen hat, dieser Hoffmann, dann können wir ja noch Irene besuchen“, schlug Hans-Peter vor.
    So gingen sie in die gewiesene Richtung, Schnee knirschte unter ihren Schritten. Sebastian in seiner Joppe und alten Schaftstiefeln. „Meine Waldkluft“, hatte er seinem Freund lächelnd erklärt, der in dünnen Halbschuhen und Skibundhosen lief, in seiner Schuljacke mit etwas zu kurzen Ärmeln, aber mit Schal und Pullover darunter, die Hände in den Taschen vergraben, den Kragen aufgestellt und die Schultern ein wenig hochgezogen, gegen einen kalten Wind, der beständig blies und bald auch in den Ohren zwickte.
    „Was sind denn das für Leute dort?“ Hans-Peter wies mit dem Kopf in Richtung einer Gruppe Männer, die in Jacken und Schals oder langen Wintermänteln mit Schneeschaufeln den gegenüberliegenden Bürgersteig bearbeiteten.
    Sebastian sah hin. „Wieso?“ sagte er. „Leute, die Schnee wegschaufeln.“
    „Dafür sind die zu gut angezogen“, meinte Hans-Peter.
    „Du hast recht, die sehen eher wie Wissenschaftler aus, wie Professoren...Ich glaube, das sind Arbeitslose, also die Arbeitslosengeld kriegen. Ich habe das mal gehört. Hier im Westen soll es viele davon geben. Ich denke, die müssen dafür ab und zu auch mal Schnee schippen, wenn Not am Mann ist wie heute hier“, sagte Sebastian mit einer weiten Handbewegung. Zugleich stieß er die Stiefelspitze kräftig in einen Schneehaufen am Rande.
    „Wieso haben die eigentlich keine Arbeit?“ wollte Hans-Peter wissen.
    „Ich denke, weil Westberlin ziemlich abgeschnürt ist. Ich weiß aber auch nicht“, fügte er nachdenklich hinzu, „weshalb es so viele Arbeitslose gibt, wo die Stadt doch insgesamt dermaßen kaputt ist.

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