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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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höchstens Dekorateur“, sagte Sebastian.
    „Haben denn die überhaupt was zu dekorieren“, fragte Totila lachend.
    „Ja, doch, Transparente und Plakate“, antwortete Sebastian, „also etwa ‘Nieder mit dem kriegslüsternen US-Imperialismus’ und ‘Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen’.“
    „Dann wirst du halt Plakatmalerin“, und Totila lachte wieder, „das hat hier eindeutig Zukunft.“
    „Und was willst denn du hier eigentlich mal anfangen?“ fragte Sebastian den Pfarrerssohn.
    „Am liebsten Elektriker“, sagte der nach einigem Überlegen, „also Elektroingenieur.“
    „Ingenieur? Hast du denn einen Betrieb, der dich an die Uni delegiert?“
    „Nein, aber vielleicht gehe ich erstmal als Lehrling und sehe dann zu, daß der Betrieb mich schickt.“
    „Und wenn der das nicht tut?“
    Totila zuckte mit den Schultern, schlug die Beine übereinander, lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme über der Brust. „Mir ist schon klar, daß ich mich nicht selbst bewerben kann.“
    Sebastian lachte. „Ich sehe schon, du bist hier auf dem falschen Dampfer. Aber wir alle sind ja fehl am Platze“, tröstete er und wies dazu mit der Hand in die Runde. „Wer weiß denn, was du überhaupt machen darfst“, sagte er zu Totila. „Hier geht’s doch nach Plan, wie du weißt. Vielleicht mußt du Bergbauingenieur werden, weil sie die hier gerade mal brauchen. Vielleicht aber, und das liegt durchaus näher, darfst du ja überhaupt nicht studieren.“
    „Denke ich auch schon manchmal“, bestätigte Totila, lehnte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. „Dann muß ich halt zu meiner Mutter“, sagte er, „was sonst.“
    „Und du sagst mir“, erklärte Sebastian mit Vorwurf in der Stimme, „schade, wenn gerade solche wie ich nach drüben gehen. Und was wäre dann deine Alternative hier? Mutters Rockzipfel im Westen gilt ja hier nicht.“
    „Und wenn sie dich doch zur Forstschule schicken würden?“, konterte Totila, stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab und sah Sebastian grinsend an.
    Der winkte nur ab. „Vergiß es“, sagte er.
    Die neuen Freunde tasteten sich noch eine Weile ab, Meinungen über Politik und Kirche kreuzten sich, und wenn Sebastian meinte, daß Christentum und Kommunismus Gemeinsamkeiten aufwiesen, etwa beide ein Paradies propagierten, die einen im Jenseits, die anderen auf Erden, lachte Totila. Der Kommunismus, ‘jeder nach seinen Bedürfnissen’, meinte er, das sei doch eher das Schlaraffenland. Über kleinere Umwege einigte man sich aber meistens, beispielsweise auch darüber, daß das Schlaraffenland eine Art von Hölle sein müsse. Vertrauen war wichtig in dieser Zeit, wichtig waren Menschen, mit denen man sprechen konnte, reden, ohne reflexhafte Vorsicht. Mißtrauen und Heuchelei, wie schon in den Schulen eingeübt dominierten vielfach die Beziehungen der Menschen. Reden in der Öffentlichkeit war allerhöchstens Silber, Schweigen meist mehr als Gold. In der propagierten Umerziehung zum „neuen Menschen“, zur „sozialistischen Persönlichkeit“, entstand der schizoide Mensch, eine nicht ungefährliche Spezies.
    Als die Geschwister sich auf den Weg nach Hause machen wollten, trafen sie in der geräumigen Diele des Pfarrhauses auf Totilas Vater, der eben aus seinem Dienstzimmer trat und abrupt stehen blieb. „Na, was hältst du von meinen Gleichnissen“, fragte er den Sohn ganz unvermittelt, „wie sind die angekommen?“
    „Ich glaube, ganz gut“, sagte der. „Du mußt nur aufpassen, daß du nicht zu viel voraussetzt. Das letzte Gleichnis haben manche, ich meine, das konnte man sehen, nicht verstanden. Aber ich wollte dir hier“, sagte Totila und wies auf Sebastian, „Karins Bruder Sebastian vorstellen.“
    „Ja, natürlich“, und Pfarrer Kunzmann faßte sich an die Stirn. „Ich hab’ mich schon gefragt, wer das sein kann. Er ging einige Schritte auf Sebastian zu und reichte ihm die Hand: „Ihre Schwester ist übrigens schwer in Ordnung“, sagte er.
    „Na, wenn Sie es sagen...“
    „Aber ja, ganz sicher!“ sagte der Pfarrer.
    Sebastian schätzte ihn auf Ende vierzig, Anfang fünfzig. Das kurze, weiße, wellige Haar machte ihn keineswegs älter. Pfarrer Kunzmann war nicht groß, jedoch untersetzt und gab so eine ganz passable Figur ab. Den Pfarrer zeichnete eine auffällige Beweglichkeit aus, so, als ob er in jedem Moment davoneilen wolle, obwohl er fest auf dem Parkettboden der Diele stand. Die Hände waren

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