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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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ergriff.
    Unten über dem Strand, an dem die Wellen ausrollten, fanden sie Platz auf einer Sandwehe, einer Art Minidüne, weißer Glassand, der, wenn man eine Handvoll davon ergriff, einem sogleich wieder durch die Finger rann. Ganz aus der Nähe betrachtet handelte es sich dabei um lauter winzige Quarzkristalle. „Der Sand ist hier nicht überall so“, erklärte er. „Er ist viel öfter grau oder gelblich und viel gröber. Sowas hier verarbeitet die Glasbläserei bei uns in Räschen zu Vasen, Gläsern, Schalen und so... das sind schon richtige Künstler dort. Man kann sogar hingehen und zugucken. Haben wir als Kinder öfter gemacht. Sag mal“, fragte er nach einer Pause, in der sie auf das ruhige Heranrauschen der Wellen gelauscht hatten, „ich rede hier von der Kindheit, so sehr lange ist das ja alles noch nicht her, bei mir nicht und bei dir erst recht nicht, obwohl sich seitdem sehr vieles geändert hat. Aber du, das würde mich schon interessieren, aus welcher Ecke stammst du eigentlich?“
    „Aus Königsberg“, sagte Gisela und sah dabei weit über den See und die dahinterliegende Sandwüste hinaus.
    „Du sprichst aber gar nicht ostpreußisch.“
    „Mein Vater kam aus Hannover, meine Mutter war Königsbergerin. Zu Hause wurde kaum Dialekt gesprochen. Meine Großeltern hatten ein Gut dort in der Nähe.“
    „Sag bloß, die waren auch noch adlig.“
    „Nein“, sagte sie und lachte, „das waren sie nicht.“
    „Na trotzdem, und auch noch Gutsbesitzer. Schlimmer geht’s ja kaum. Du meine Güte! Bloß gut, daß du das nicht angegeben hast.“ Er lachte und schüttelte den Kopf.
    „Man kann mich nicht widerlegen“, sagte sie und breitete beide Handflächen vor sich aus. „Außer dir jetzt und einer guten Freundin, die nicht mehr in Altdöbern ist, weiß das keiner.“
    „Und ich? Warum hast du mir das erzählt?“
    „Einfach so“, erklärte sie. „Ich mußte mal wieder davon sprechen.“
    „Und Geschwister hast du nicht?“
    „Ich hatte einen jüngeren Bruder, der ist aber schon 45 gestorben wie viele damals.“
    „Und deine Eltern?“
    „Mein Vater war erst vermißt und wurde 1944 als gefallen gemeldet. Dann folgten im Spätsommer die Bombenangriffe auf Königsberg. Wir hatten ein Haus in einer Gegend, in der nur wenige Bomben fielen, aber ich seh’ das noch vor mir, Trümmer und Brände. Man konnte kaum atmen und ständig tränten einem die Augen vom Qualm, der über der Stadt lag. Und in der Schule, ich bin damals ja noch in Königsberg eingeschult worden, fehlten nach den Ferien ganz viele in der Klasse. In den Schulen, hieß es eines Tages, würden Lazarette eingerichtet.“
    „Das kenne ich, das war hier auch so mit der Schule im Februar 1945“, warf Sebastian ein.
    „Und dann“, fuhr sie fort, „dann hieß es auch bald Frauen und Kinder sollten raus, die Stadt verlassen, sollten evakuiert werden. Meine Mutter wollte nicht fort, aber die Großeltern drängelten, sie müsse schon unseretwegen gehen. Es hieß damals, Königsberg solle Festung werden. Es wurde Winter und bald fuhren nur noch wenige Züge aus der Stadt, die Flüchtlinge mitnahmen. Deutsche Soldaten rückten ein und erzählten schreckliche Geschichten aus Gebieten, die von den Russen überrannt worden waren. Meine Mutter fühlte sich krank, entschloß sich aber auf Drängen meiner Großeltern doch, unser Haus und die Stadt zu verlassen. Nur der Zug, in dem wir noch untergekommen waren, kam nicht mehr weit, die Gleise waren von Bombeneinschlägen völlig zertrümmert. Also vieles, das mußt du wissen, vieles kann ich mir heute erklären, das mir damals nicht so bewußt war“, sagte sie und blickte mit gefurchter Stirn angestrengt, so schien es Sebastian, über den See. „Wir mußten dann schnell den Zug verlassen. Er sei ein Tieffliegerziel, hieß es. Natürlich, das ist klar, ein stehender Zug voller Menschen war ein geradezu ideales Ziel für Tiefflieger, die ja Tag und Nacht unterwegs waren und oft genug auch Flüchtlingstrecks beschossen. Im Schloß haben wir Mädchen“, sagte sie und nickte Sebastian zu, „die solchen Beschuß ihres Trecks erlebt haben. Halbtote Pferde, erschossene und verwundete Menschen, zertrümmerte Wagen. Alles mußte schnell aus dem Weg geräumt werden, damit der Flüchtlingsstrom sich nicht zu lang aufstaute.
    Aber als wir den Zug auf freier Strecke verlassen mußten, da war dieser Flüchtlingsstrom längst durchgezogen. Wir waren Nachzügler zu Fuß, mit Rucksäcken und Taschen, meine

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