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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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der.
    „Du hast doch kaum damit zu tun“, und Sebastian schüttelte den Kopf.
    „Eigentlich bin ja gar nicht ich gemeint, es geht um meinen Vater“, sagte Totila.
    „Los, komm mit rein“, und Sebastian schob sein Rad entschlossen über den Gartenweg und dann zwei Granitstufen hoch in den Hausflur. „Ich muß mich erstmal waschen.“
    „Ich würde lieber hier warten. Wir könnten vielleicht ein Stück rausfahren. Ich erzähl’ dir dann alles.“
    „Das ist ja ein Ding!“ Sebastian griff sich an den Kopf. „Ich beeile mich.“
    Nachdem er seiner Mutter erklärt hatte, daß er nochmal kurz weg müsse, machten sie sich auf den Weg. „Was sagt denn dein Vater dazu“, wollte er von Totila wissen, als sie über die Tempo-Siedlung hinaus in die Wälder fuhren, die sich von dort über zig Kilometer ins Land erstreckten.
    „Der ist doch in Berlin bei der Kirchenleitung und kommt erst morgen zurück.“
    Nachdem sie ein paar Kilometer einen Waldweg entlanggefahren waren, lehnten sie die Räder gegen einen Meterholzstapel und setzten sich auf danebenliegende Baumstämme. „Bauholz“, sagte Sebastian.
    „Und das da?“ Totila wies auf den Meterholzstapel.
    „Brennholz.“
    „Willst du jetzt auch Waldarbeiter werden?“ fragte Sebastian grinsend.
    „Nicht unbedingt.“ Totila schüttelte lachend den Kopf.
    „Also, nun erzähl’ erst mal der Reihe nach“, und Sebastian kratzte sich dazu am Hinterkopf.
    „Junge Gemeinde, sagst du? Wie kam’s denn dazu?“
    „Das geht schon eine ganze Weile mit Schmähschriften an der Wandzeitung und mit so Plakaten an den Wänden“, erklärte Totila, „also gegen die Junge Gemeinde, Büttel des kriegswütigen Imperialismus und fünfte Kolonne des amerikanischen CIC und ähnlicher Unsinn.“
    „Na klar“, sagte Sebastian, „Kirchenkampf ist ja nichts Neues. Immer, wenn die Unzufriedenheit bei den Leuten zunimmt brauchen die ein Feindbild. Wie ist denn das abgelaufen in Senftenberg?“
    „Schulversammlung“, sagte Totila, „nach Ende des Unterrichts, elfte, zwölfte Klasse. Überraschend für die meisten, für mich auch. Niemand wußte warum, bis auf ein paar, die von der Schulleitung eingeweiht worden waren. Also, die paar Hundertfünfzigprozentigen, die ja jeder kannte. Der Schulsprecher eröffnete den Reigen vor rund hundertfünfzig Schülern mit Beschimpfungen der Jungen Gemeinde ganz pauschal. Und da gab’s ja ein paar, vielleicht zwölf, fünfzehn, die das Kugelkreuz am Revers oder der Bluse trugen. Man hatte die Namen notiert. Sie alle wurden schließlich nacheinander aufgerufen. Sie seien nicht würdig, wurde ihnen gesagt, ihre Bildung auf Kosten der Arbeiterklasse zu erhalten. Verrat und Unverschämtheit und ähnliches mußten sie sich anhören. Schließlich wurde jeder einzelne gefragt, ob er seine Mitgliedschaft in der Jungen Gemeinde widerrufen wolle, dann würde man von einem Schulverweis absehen. Und bis auf vier widerriefen dann auch alle.
    Einer der Vier, die ihren sofortigen Schulverweis erhielten, empörte sich gewaltig über diese undemokratische Hexenjagd, wie er das nannte. Dem hab’ ich später geraten, möglichst bald in den Westen abzuhauen. Zum Schluß kam ich dran. Mich hatte man offensichtlich extra aufgespart. Kunzmann, ging’s dann los, Kunzmann, wo ist Ihr Vater? Weiß ich nicht, sagte ich, wahrscheinlich zu Hause. Wo ist Ihr Vater Kunzmann, wurde noch einige Male stereotyp gefragt. Da konnte ich nur noch mit den Schultern zucken, wußte ich doch nicht, worauf die hinaus wollten.
    Mein Vater war nach Berlin gefahren, ins Konsistorium, das ja in Westberlin liegt. Was ganz Normales, mehrmals im Jahr mußte er dorthin. Das wußte jeder, die Parteibonzen und die Stasi auch. Ihr Vater, Kunzmann, hieß es schließlich, ist in Westberlin. Das wurde anklagend vorgebracht, in Westberlin! Und gleich meldete sich eine der Bonzentöchter zu Wort, mit absurden Verdächtigungen. Von der Abholung von Hetzmaterial aus Westberlin war die Rede. Meine Erklärung, die evangelische Kirchenleitung als vorgesetzte Stelle meines Vaters, säße nun mal in der Jebenstraße in Westberlin, wurde weggewischt. Ich bekam nicht mal die Chance“, erklärte Totila grinsend, „eine Mitgliedschaft in der Jungen Gemeinde zu widerrufen. Mein demonstrativer Schulverweis war unumstößlich vorgesehen und wurde einem Feind des werktätigen Volkes denn auch genüßlich ausgesprochen. Wegen dieses ganzen Tamtams versuchten danach einige möglichst unauffällig einen Bogen um

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