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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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anderer Leute. Es handelte sich um ein Schnellboot, wie ich damals hörte. Ich sah dann, es wurde schon dämmrig, noch einmal zurück zu unseren Pferden auf der weiten Schneefläche und konnte erkennen, wie sie das Heu fraßen, wie sie mit der Entfernung immer kleiner wurden, um sich dann in der Weite und der sehr schnell einfallenden Dunkelheit zu verlieren. Man erkannte nur noch einen schmalen weißen Landstreifen gegen einen grauen Himmel in der Ferne. Das war’s dann auch schon.
    Wir kamen, glaube ich, in Rostock an. Es war gegen früh und noch dunkel. Man konnte nichts erkennen von der Stadt und ahnte sie mehr als man sie sah, Trümmer und Ruinen. Es galt im Krieg ja noch die vollständige Verdunkelung. Wir wurden dort in einer Halle untergebracht, mehr wie ein Bunker, viele Betten darin übereinander und so abgedunkelte Beleuchtung von der Decke. Am Vormittag wurde dann heißer Pfefferminztee ausgegeben, Brot, Margarine und Marmelade. Ich habe mir das so genau gemerkt“, sagte Gisela, „weil meine Leute mich danach bei der NSV ablieferten. Sie wollten weiter ins Rheinland, wie sie sagten. Von der NSV, das waren dort Frauen, die trugen alle so runde Broschen, manche auch Armbinden, wurden offensichtlich Kinder ohne Eltern aufgesammelt.
    Der Abschied von meinen Leuten ging ganz schnell, die mußten nämlich gleich zum Bahnhof. Alle hatten dauernd Angst vor Fliegeralarm. Ich war wieder traurig, hatte ich mich doch an sie gewöhnt. Die Frauen vom NSV brachten mich mit ein paar anderen Kindern in so eine Art Heim außerhalb der Stadt. Da gab es dann noch mehr Kinder, aber auch verwundete Soldaten waren dort untergebracht. Die Stadt war ja ziemlich zerstört, aber nicht so schlimm wie Königsberg. Nach wenigen Wochen ging es weiter mit dem Zug ins Erzgebirge, auch wieder in so ein Heim. Im Frühjahr rückten dann dort die Russen ein. Fast wären es zuerst die Amerikaner gewesen. In unserem etwas abgelegenen Heim merkten wir aber nicht viel von dem ganzen Tumult. Kinder waren für die Russen nicht interessant. So war das. Und vor rund vier Jahren trudelte ich dann hier ein. Da hast du meine Geschichte in Kurzform“, sagte Gisela und sah Sebastian an. Beide schwiegen eine Zeitlang.
    Sebastian starrte vor sich in den Sand. Zu hören war nur das gleichmäßige Aufrauschen der Wellen. „Eine schlimme Geschichte“, sagte er schließlich. „Schrecklich auch das mit den Tieren. Und du so ganz allein, dazu dann noch der Tod deines kleinen Bruders. Was ist denn mit Verwandten? Hast du denn gar keine?“
    „Es gab welche in Hannover, aber nach dem Krieg waren sie dort nicht mehr aufzufinden. Wahrscheinlich sind sie bei einem Bombenangriff umgekommen. Niemand weiß es.“ Dazu zuckte sie mit den Schultern. „Hannover ist ja ziemlich zerstört worden.“
    Als sie auf dem Rückweg dann wieder über die obere Abrißkante kletterten und in den Schatten des jungen Birken- und Kiefernwaldes tauchten, empfing sie dort der vielfältige Gesang verschiedenster Vogelarten. Es war ein deutlicher Kontrast zum Sand, zur blendenden Sonne, dem eintönigen Wellenrauschen und der schrecklichen Geschichte, die er eben gehört hatte. Sie fanden dann bald ihre versteckten Räder wieder und sprachen nicht viel auf dem Weg aus dem Kippengelände.
    Gisela schlug die von Sebastian vorgeschlagene Begleitung nach Altdöbern aus. „Das ist nicht böse gemeint“, erklärte sie, „ich will nur etwas allein sein. Du wirst das sicher verstehen.“
    Er verstand es, verstand es gut.

    30.

    Als Sebastian in Gummistiefeln und schlammbespritzten Sachen auf seinem Fahrrad zu Hause ankam, stand Totila am Gartentorpfeiler unter dem blühenden Rotdorn und sah auf seine Armbanduhr. „Habe ich ja richtig geschätzt“, sagte er, stieß sich vom Pfeiler ab und begrüßte Sebastian, der das Rad vor der Gartentür zum Stehen gebracht hatte. „Huch“, sagte Totila und hielt sich demonstrativ die Nase zu, „Du stinkst ja wie ein fauliger Schlammtümpel.“
    „Deine Nase trügt dich nicht“, bestätigte Sebastian. „Seit Tagen entschlammen wir einen völlig versumpften Teich und einen dort hineinführenden Graben. Das muß schließlich gelernt sein“, sagte er lachend. „Aber du? Was treibt dich denn her?“
    „Tja, ich hab’ jetzt viel Zeit, bin nämlich von der Schule geflogen.“
    „Was? Wann?“ Sebastian blieb mit dem Rad in der halb geöffneten Gartentüre stehen und starrte Totila an. „Weshalb denn?“
    „Junge Gemeinde“, erklärte

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