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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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blickte in Richtung des zweiten Betts.
    Der Teppich war aus grober Wolle, sandfarben und fühlte sich beruhigend weich unter meinen nackten Füßen an. Die Wandverkleidung war übersät mit eingeritzten Schmierereien, eine Hinterlassenschaft vorheriger Mieter: Jason liebt Maria 4ever! Rocky und Jessica, für immer und ewig, 20.2.89. In der Luft hing beißender
alter Zigarettenrauch, und alles Tragbare war fest am Boden verschraubt worden. Auf einem Büfett lagen Fünfziger und Hunderter wie ein verstreutes Kartenspiel herum. Der erste Schnee klopfte leise ans Fenster.
    Gleich draußen hinter dem Glas, auf einem kleinen Balkon, stand Carlos und telefonierte mit einem Handy, das etwas so Fremdes für mich war wie unsere neue Bleibe hier. In Anbetracht der vielen Schneeflocken auf seinem Haar fragte ich mich mit einem unguten Gefühl, ob er wohl die ganze Zeit, während ich unter der Dusche stand, gequatscht hatte. Sein Lachen, das gedämpft von draußen hereindrang, klang nach einem Flirt, als würde er mit einem beliebigen Mädchen auf der Straße reden. Irgendetwas daran hatte einen trügerischen Beigeschmack und ließ alles in dem Motel seltsam wirken. Ich sah zu Sam hinüber, die an einem Cheeseburger von McDonald’s kaute, den wir im Drive-in erstanden hatten. Trotz meines Unbehagens fühlte es sich gut an, sie beim Essen zu beobachten, sicher eingepackt unter warmen Decken. Wir waren in letzter Zeit so viel herumgezogen, wir mussten uns einfach mal irgendwo ausruhen.
    »Sam.«
    »Ich weiß, Mädel, sag einfach nichts«, bat sie mich. »Er ist wieder da, und das ist cool.«
    »Sam«, wiederholte ich und stellte mich vor sie hin. »Wir müssen vorsichtig sein.« Ich blickte zu ihm hinüber, um sicherzugehen, dass er noch beschäftigt war. »Wir müssen uns Wohnungen anschauen. Wir müssen eine Unterkunft für uns finden. Danach können wir uns Arbeit suchen und uns dann eventuell wieder an die Highschool ranwagen, aber erst, nachdem wir einen festen Wohnsitz haben.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Diese Unterkunft hätte ich liebend gern.«
    »Ja, klar, wir müssen das als Erstes in den Griff kriegen. Man weiß ja nie. Die ganze Sache hier kommt mir dubios vor.«
    Carlos trat wieder ins Zimmer und wischte sich den Schnee
vom Kopf, wobei er wie eine Zeichentrickfigur Luft ausstieß und seine Augen hervorquellen ließ.
    »Brr, ich hab mir da draußen meine Nippel abgefroren.« Er schüttelte den Schnee von seinen Armen. Wir waren zu still, um amüsiert zu wirken.
    »Was ist los, Ladys?« Er blickte sich übertrieben verwirrt im Zimmer um. »Ihr seht aus, als hätte jemand das Auto eures besten Freundes geklaut.« Einen Augenblick lang war ich besorgt, vielleicht doch alles zu ernst zu nehmen, aber ich sagte trotzdem etwas.
    »Nichts … nur … Also, da du ja jetzt dein Erbe hast, müssen wir doch mal über die Sache mit der Wohnung reden, oder? Du warst ja quasi eine Weile einfach verschwunden, und das hat uns überrascht. Noch mehr Überraschungen können wir im Moment nur schwer ertragen.«
    Er wartete einen Moment, um sich zu sammeln, als müsse er sich beherrschen. Dadurch hatte ich das Gefühl, eine Grenze überschritten zu haben.
    »Wie ich schon sagte, Kleeblatt. Ich musste meinen Kopf freikriegen. Es war krass, Dads Geld abzuholen, also hab ich das allein gemacht. Keine Frage, dass ich wiederkomme. Alles klar?«
    »Klar, Carlos, das wussten wir«, log ich. Ich war zu nervös, um mich dem scharfen Angriffston in seiner Stimme zu widersetzen. Außerdem spürte ich, dass ich dabei war, zu der Kategorie Mensch überzulaufen, die ihn einfach nicht verstand. Ich hatte Angst, ihn durch meine Fragerei, wo er gewesen war und ob das ganze Geld tatsächlich aus einer Erbschaft stammte, zu verlieren.
    »Also, wenn ihr mir glaubt, dann benehmt euch gefälligst auch so und zeigt es mir«, sagte er eingeschnappt.
    Ich blieb stumm und reglos stehen. Sam sah mich an, als erwartete sie Anweisungen von mir. Carlos blickte von mir zu Sam und wieder zurück, kniff die Augen zusammen und grinste auf einmal verschmitzt. Dann nahm er in Zeitlupe ein Kissen vom Bett, pfiff dazu die Melodie eines alten Western-Showdowns und veränderte
so die Stimmungslage im Raum. Sam grinste und ging darauf ein, indem sie wie im Film auf dem Bett zentimeterweise rückwärts von ihm wegrutschte. Dadurch ließ sie mich mit meiner ganzen Ernsthaftigkeit gleichsam im Regen stehen. Carlos hob die Augenbrauen und schwang das Kissen wie ein Lasso über

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