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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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und ich waren nie verheiratet. Die Siebziger, Sie wissen schon. Meine Güte, sie war so temperamentvoll – eigentlich total verrückt.« Er lachte. Ich zuckte zusammen. Vince verzog keine Miene und lächelte Daddy weiterhin an. »Nennen Sie mich Peter«, fügte Daddy hinzu.
    Er war so nervös, dass ich davon angesteckt wurde. Was würde ich tun, wenn wir das hier nicht durchzogen? Was würde aus mir werden, wenn er meine einzige Chance hier zunichtemachte? Ich starrte Vince an und suchte nach Anzeichen für aufkeimendes Misstrauen. »Okay«, mischte ich mich ein und klatschte dabei in die Hände, »dann legen wir mal los. Ich will ja nicht hetzen, aber
meinen Dad auch nicht zu lange aufhalten. Mit der vielen Arbeit im Job und so weiter.«
    Obwohl seine Hände zitterten, schaffte Daddy es, mit derselben ausladenden Unterschrift zu unterschreiben, die ich ihn mein ganzes Leben lang unter Abwesenheitsnotizen und Papiere von der Sozialhilfe hatte setzen sehen. Er murmelte irgendetwas vor sich hin und stieß mit der Zunge von innen gegen seine Backe.
    »Hm, okay. Gut, prima, perfekt«, wiederholte er ständig. »Gut, ich hab’s kapiert.«
    Ich heftete meinen Blick auf Vince. Mein Herz klopfte wie wild, doch ich versuchte, ruhig und fröhlich zu wirken.
    »Adresse?«, fragte Vince, dessen Finger auf der Tastatur eines Computers bereitlagen.
    Ich sah Daddy an. Er stierte nach oben an die Decke und rieb sich mit einer Hand über die Stirn, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. »Neunhundertdreiunddreißig …« Er begann, Bobbys Adresse zu verunstalten.
    »Zwei sechs vier! Zwei sechs vier, Daddy!«, unterbrach ich ihn sofort. »Jetzt siehst du mal, was los ist, wenn du nicht genug Schlaf bekommst.« Nervös tätschelte ich Daddys Hand. »Er arbeitet zu viel«, erklärte ich Vince mit einem Kopfschütteln, das wohlwollende Missbilligung vortäuschen sollte. »Zweihundertvierundsechzig East 202nd Street«, beendete ich die Angaben für ihn. Ich gab dem Lehrer auch noch die Telefonnummer. Und jetzt zitterte ich. Wir hatten es fast vermasselt. Aber irgendwann, als ich merkte, dass das Treffen dem Ende zuging, weil Vince aufstand und Daddy die Hand reichte, entspannte ich mich. Daddy lächelte Vince auf eine Art an, die ich noch von ihm aus Begegnungen mit Sozialarbeitern kannte.
    »Also dann, willkommen an der Schule, Liz.« Vince hatte sich plötzlich zu mir umgedreht. Ich verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und hoffte, Daddy würde kein weiteres Wort mehr von sich geben. »Als Nächstes solltest du mit April, der
Sekretärin, einen neuen Termin ausmachen, um deinen Stundenplan für den Herbst auszuarbeiten.«
    Ich lächelte Vince an und dankte ihm aufrichtig. Und kaum hatte er sich wieder in sein Büro zurückgezogen, lotste ich Daddy zur Tür. Auf unserem Weg hinaus musste ich ihn davon abhalten, ein Exemplar der Zeitschrift Time zu stehlen, das in einem der offenen Büros herumlag.
    Zurück auf der 19th Street, begleitete ich Daddy zur U-Bahn. Unser Treffen hatte weniger als fünfundvierzig Minuten gedauert. Vor dem Eingang zur Haltestelle beobachtete ich ihn, wie er den Klettverschluss, der seinen Schirm zusammenhielt, immer wieder auf- und zumachte. Er sah mich nicht direkt an, sondern haarscharf an mir vorbei, hinunter in die Station.
    »Also, ich hoffe, es hat geklappt, Liz. Tut mir leid, wenn ich es verpatzt habe. Ich glaube aber, es hat trotzdem funktioniert … Glaubst du wirklich, dass du diesmal zur Schule gehen wirst?«
    Mit dieser Frage offenbarte er mir seine Zweifel und machte sich über meine Zuversicht lustig.
    »Ja. Das werde ich ganz sicher«, antwortete ich mit mehr Bestimmtheit, als ich es von mir selbst erwartet hätte. Für diesen Tag hatte ich mir ein paar von Bobbys Anziehsachen ausgeliehen, die zu weit, aber sauber waren. Ich hatte mir auch für Daddy eine Geschichte über mich ausgedacht. Bei unserem letzten Telefonat hatte ich ihm erzählt, dass ich bei Bobby eingezogen sei und dass es mir gut gehe. Er stellte keine weiteren Fragen, und ich hoffte, dass es so blieb. Ich wollte auf alle Fälle vermeiden, dass er herausfand, was ich wirklich durchmachte. Denn hätte er es erfahren, wusste ich, wie sehr es ihn verletzen würde. Dann müsste er nicht nur im Heim leben, sondern sich auch noch Sorgen um mich machen. Und das würde mir wiederum leidtun. Was hätten wir dann beide davon? Es war besser, ihn in dem Glauben zu lassen, mir ginge es gut.
    »Na ja, ich finde es

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