Als der Tag begann
einzige Mal, an das ich mich erinnere, ihn früher einmal so verunsichert erlebt zu haben, war bei der kurzen Begegnung mit unserer älteren Schwester Meredith. Er schien so mit Schuld beladen und begierig darauf zu flüchten. Ich konnte im Lokal meinen Blick nicht von Daddy abwenden, wie er seine Hände knetete, während der Geburtstagslieder mit einem gezwungenen Lächeln im Gesicht auf dem Stuhl herumzappelte und widerstrebend mitsang. Mein Magen verkrampfte sich bei seinem Anblick, und ich hoffte, Lisa würde nichts davon bemerken. Und außerdem war ich dankbar, dass sie nicht wusste, dass ich die Feier initiiert und Daddy angerufen hatte. Dass er mich in einen Laden geschickt hatte, um eine Karte für sie auszusuchen, die er dann unterschrieb. »Ich kann so was nicht gut, Lizzy, bin auch gerade ein bisschen schlecht bei Kasse. Such was Schönes aus, okay?«, bat er mich. »Danke, Lizzy, du bist die Beste.«
Dabei war es keine leichte Aufgabe, eine Geburtstagskarte von Daddy für Lisa auszusuchen. Welche Auswahl hatte ich da schon? Alle Karten waren für Männer entworfen worden, die sich als Väter ihrer Verantwortung stellten. Sie waren verziert mit Spitznamen wie Dad und Daddy und verkündeten Dinge wie »Diese Karte kommt von deinem dich liebenden Vater« oder »In all den Jahren, in denen ich dir beim Erwachsenwerden zugesehen habe, war es ein Freude, dir dabei zur Seite zu stehen«. Aber so war’s nicht gewesen, nicht wirklich. »Für meine Tochter, die Liebe meines Lebens, zum Geburtstag.« Ich wollte weder Lisa beleidigen noch ihn bloßstellen. Also suchte ich selbst nach einer Lösung. Keiner von beiden ahnte etwas davon, aber oft genug fand ich die perfekte Karte von Daddy für Lisa in der Abteilung für Trauerkarten: »Ich denke an dich« oder »Heute und in Zukunft stehe ich dir zur Seite«. In diesen Sprüchen ging es um Liebe, aber sie ließen genug Raum für das Mitschwingen von Distanz und Tragödie, und es waren die einzigen Karten, die Daddys Rolle als Vater passend umschrieben.
Meine Rolle war es, die allgemeine Unbeholfenheit in diesen Momenten herunterzuspielen und dafür zu sorgen, dass wir alle beim Verabschieden fanden, gemeinsam einen schönen Tag verbracht zu haben.
Aus diesem Grund schob ich Daddy Geld zu, sobald Lisa mal wegsah oder zur Toilette ging, um für die »Feier« zu bezahlen. Die Kellnerin brachte die Rechnung, und Daddy nahm rasch das schwarze Lederetui an sich und legte Bargeld hinein. »Das erledige ich«, sagte er, »herzlichen Glückwunsch, Lisa.«
Es ist nicht so, dass wir uns nicht liebten – o nein. Ich glaube einfach, wir hatten verlernt, Zeit miteinander zu verbringen. Niemand hatte uns darauf vorbereitet, wie man sich verhält, wenn eine Tragödie die eigene Familie zerstört. Wir hatten keine Ahnung, was wir tun sollten, als die Krankheit zuschlug, Mas Verwirrtheit ausbrach, als sie starb. Und wir waren nicht darauf vorbereitet, was passiert, wenn man nicht mehr in nächster Nähe miteinander lebt, sondern es einem eine Anstrengung abverlangt, mit dem anderen in Verbindung zu treten. Und so machten wir das Beste daraus.
Ein paar Tage nach meinem achtzehnten Geburtstag trafen wir uns wieder im üblichen Lokal zum Feiern. Ich kam als Erste an der 11th Street an, Daddy traf ein paar Minuten später ein. Gemeinsam warteten wir auf Lisa.
»Wie läuft’s in der Schule?« Er wählte das unverfänglichste Thema.
Es lief gut. Er wusste das – es war so ziemlich das einzige Detail aus meinem Leben, worüber Daddy überhaupt etwas wusste. Er suchte nach weiteren Themen für ein bisschen Small Talk und kam überraschenderweise mit einer Sache an, die er in der Zeitung gelesen hatte: »Du, Lizzy, sie machen zurzeit bemerkenswerte Fortschritte in der Aids-Forschung und bei Aids-Medikamenten. Sie glauben, kurz davor zu sein, die Krankheit heilen zu können.«
Normalerweise vermieden wir alle Themen, die dazu führten,
dass wir Ma erwähnten. Die Verwirrung musste mir ins Gesicht geschrieben gewesen sein, weil Daddy seinen Kopf wegdrehte und so tat, als hielte er nach Lisa Ausschau. Das Thema wechselte er trotzdem nicht. »Mit den derzeitigen Medikamenten die Lebensqualität verbessern, für jemanden, der’s hat … Die sind ja heute so viel besser als früher. Man kann jetzt noch lange damit leben.«
Ich versuchte, einen Weg zu finden, ihn höflich darauf hinzuweisen, er möge doch bitte über etwas anderes reden, als er die Katze aus dem Sack ließ. »Ich hab’s
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