Als der Tag begann
dazu einen Nasenring und sorgenvoll nach oben gezogene Augenbrauen. Ihre Sprechblasen waren mit Glitzerstift verziert, der Wörter
wie Vertrauen , Wahl und Konsequenzen hervorhob. Bewaffnet mit unserem Material, betraten Eva, Sam und ich den Gemeinschaftsraum.
»Niemand rechnet damit, HIV-positiv zu werden«, sagte ich und eröffnete damit die Gesprächsrunde für alle anwesenden Schüler. Ich trug einen grünen Pulli und eine blaue Jeans, Teile meiner farbenfrohen Klamotten, die ich nach und nach gegen meine schwarze Uniform eingetauscht hatte.
»Aber es passiert trotzdem, es zerstört Familien und löscht Leben aus. Wir sind heute hier, um zu verhindern, dass euch das passiert. Nur darum geht’s.«
Eine halbe Stunde lang benutzten Sam, Eva und ich für unseren Vortrag unsere Schaubilder und die Informationen, die wir bei unseren Schulungen erhalten hatten. Als wir zu dem Teil kamen, in dem es darum geht, wie genau sich das HI-Virus im Körper ausbreitet, sah ich Ma vor mir. Aber nicht die sterbenskranke Ma im Krankenhaus – sondern wie sie lächelte, Lebensfreude und Liebe ausstrahlte. Ich sah, wie sie mit mir lachte, am Mosholu Parkway meine Hand hielt, die Samen der Pusteblume gen Himmel blies und sich etwas wünschte, als das Virus schon überall in ihrem Körper verteilt war. Auf einmal erkannte ich ihren Wunsch, ich möge in der Schule bleiben und mir damit ein Leben voller Möglichkeiten erschaffen, ihren Wunsch, es möge mir gut gehen.
Der Kopierer spuckte zehn saubere Kopien meines Zeugnisses aus. Ich saß im Büro meiner Betreuungslehrerin Jessie Klein und fuhr mit meiner Fingerspitze die Kolumnen mit den Noten entlang: 92, 94, 100, 100, 100, 98 – im Ganzen mehr als zehn Kurse pro Semester, und viele davon mit As, den Bestnoten. Wie geplant durchschritt ich mein Pensum von einem ganzen Schuljahr pro Semester. An diesem Morgen war eine Versammlung im Prep Central einberufen worden, gleich neben Jessies Büro. Ich hatte es mir an diesem Freitag jedoch zur Aufgabe gemacht, mich endlich um ein Stipendium zu bemühen. Meine Bewerbungen fürs College
würde ich erst gegen Ende des Jahres ausfüllen, aber ich hatte vor, die finanziellen Mittel dafür im Voraus zu organisieren.
Jessie hatte mir bei dieser Entscheidung geholfen.
»Mit deinen Noten, Liz, hast du die freie Wahl unter den Schulen. Du bist glänzend in Form«, hatte sie mir vor ein paar Wochen gesagt, »aber du solltest darüber nachdenken, wie du das Schulgeld aufbringst, und zwar lieber heute als morgen.«
Damals hatte mir Jessie einen Umschlag mit lauter Bewerbungsformularen für Stipendien in die Hand gedrückt, die auf mich zugeschnitten waren und für deren Auswahl sie sich persönlich die Zeit genommen hatte. Staatliche Schulen, erklärte mir Jessie, würden jemandem mit meinen Noten wahrscheinlich problemlos ein Vollstipendium gewähren. Ich müsste nur ein Formular ausfüllen, das sich FAFSA nannte – Free Application for Federal Student Aid – und mit dem man sich für ein vom Staat gewährtes Stipendium bewarb. Aber laut Jessie war das Schulgeld für andere Schultypen möglicherweise sehr viel höher, sodass es am besten wäre, sich um sehr verschiedene Stipendien zu bewerben, um sich alle Möglichkeiten offenzuhalten, was in meinen Ohren wie eine hervorragende Idee klang.
»Hm, also, wenn das Schulgeld an einem erstklassigen College richtig hoch ist«, sagte ich, während ich den Stapel an Formularen durchblätterte, »in der Größenordnung von dreißigtausend Dollar im Jahr oder so, sind dann die Stipendien ungefähr genauso hoch dotiert? Hoch genug, um das Schulgeld abzudecken?«
Ihr Gesichtsausdruck verriet mir ganz deutlich, dass ich keine Ahnung hatte, auf was ich mich gefasst machen musste.
Wochen später, als ich mich nachmittags hinsetzte, um meine Bewerbungen voranzubringen, fand ich schnell heraus, warum Jessie mich so angesehen hatte. Ich hatte in ihrem leeren Büro das Neonlicht ausgemacht und durchforstete bei Sonnenlicht fast eine Stunde lang Broschüren und Prospekte mit Hochglanzfotos von Studenten aus aller Herren Länder, die begeistert in die Kamera lächelten, ihren Daumen hochhielten für Darlehen, Stipendien
und Studienbeihilfen, die von Firmen gesponsert waren. Zwischendurch brach nebenan die gesamte Schülerschaft in Beifall aus und beklatschte eine Reihe von Ankündigungen durch die Lehrer, die ich nicht genau mitbekam. Ich hatte mich entschieden, das Treffen ausfallen zu lassen, weil die
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