Als der Tag begann
zusammen. Ich verbrachte die meiste Zeit außer Haus, hing mit Freunden ab, packte Tüten ein oder zapfte Benzin. Lisa hörte in ihrem Zimmer in dröhnender Lautstärke Musik, die Tür dauerhaft verschlossen. Daddy unternahm ausgedehnte Ausflüge nach Downtown und endlose Spaziergänge in der Nachbarschaft. Und Ma fand einen neuen Freund, einen verabscheuungswürdigen Mann, dessen Anwesenheit zu einem kritischen Zeitpunkt einen Keil zwischen uns trieb, als wir schon weiter voneinander entfernt waren, als wir es uns leisten konnten.
Leonard Mohn war ein extravaganter, klapperdürrer Mann, der Ähnlichkeit mit Munchs Gemälde Der Schrei hatte. Auf beiden Seiten seiner Glatze wuchsen ihm dürftige Haarbüschel, und seine Augen quollen aus den Höhlen, als wäre er stranguliert worden. Er war zappelig und ungeduldig, und er litt an einer psychischen Krankheit, Mas nicht unähnlich, die er mit allerlei bunten Pillen behandelte. Er und Ma waren eines Nachts in der Kneipe enge
Freunde geworden, als sie entdeckten, dass sie denselben Männergeschmack hatten. Einträchtig nahmen Leonard Mohn und Ma von unserer Küche Besitz und verwandelten sie in eine Art Plattform, auf der Beschwerden vorgebracht werden konnten, dazu in eine Raucherlounge und das, was Süchtige gern als »Schießbude« bezeichnen, einen meist verlassenen Ort, an dem man ungestört fixen kann.
Ihr gemeinsamer Drogenkonsum deckte sich mit der Abwicklung ihre Sozialhilfescheckprogramms: Daddy war der Laufbursche; er rannte los und besorgte Stoff, während Ma und Leonard in der Küche Trübsal über das Leben bliesen, große Flaschen Budweiser in sich hineinkippten, die Arbeitsutensilien ausbreiteten und auf Daddys Rückkehr warteten, damit sie sich zudröhnen konnten. Diese Abfolge wiederholte sich fast zwei schlaflose Wochen lang (die Zeitspanne, um Mas und auch Leonards Scheck durchzubringen), bis unter ihren Augen dunkle Ringe auftauchten und sie gemeinsam keinen einzigen Dollar mehr zum Ausgeben auftrieben. Man konnte mit Leonard rechnen, wenn die Schecks wieder eintrudelten, entweder seiner oder der von Ma. Wenn Ma ab Mitte des Monats vor den Kneipen schnorrte, beteiligte er sich nicht oft daran. War er weg, schlief Ma erst mal tagelang.
Daddy, Lisa und ich machten uns alle hinter seinem Rücken über Leonard lustig. Ich glaube nicht, dass einer von uns ihn mochte, nicht einmal Ma so richtig. Mit seiner schrillen Stimme, der zwanghaften Beschäftigung mit sich selbst und seiner offensichtlichen Abneigung gegen Kinder (ungeachtet der Tatsache, dass er als Vertretungslehrer an Schulen arbeitete) war er nicht gerade sympathisch. Aber Mas und Daddys Entscheidungen beruhten nicht auf Vorlieben oder Abneigungen, genauso wenig wie es ihre Entscheidungen beeinflusste, ob etwas gut oder schlecht für unsere Familie war. Stattdessen basierten ihre Entscheidungen rein auf der Verfügbarkeit von Drogen, und Leonard war nicht zuletzt eine Quelle. Je öfter er da war, umso höher war der Betrag aus
den Schecks, und desto öfter konnten sie high werden. Also brachte Daddy mich in den langen Nächten, in denen ich ihm während seiner Drogenbeschaffung hinterhertrottete, durch Imitationen von Leonards übertrieben weibischer Stimme und seinem unaufhörlichen Gewinsel lautstark zum Lachen, während er mir gleichzeitig beibrachte, wie man die hell piepsenden Buchstaben eines Geldautomaten der Chase Manhattan Bank zu drücken hatte, wenn man Leonards PIN »FLUT« eingab. Und mir gelang es immer, Daddy zum Lachen zu bringen, wenn ich Leonard nachahmte, mit großen Augen aus der Wäsche glotzte und meine beste Version seiner Stimme gab, die Ma in unserer Küche anwinselte: »Oooooh, Jeanie! Oh, das Leben ist so schwer, ooohhh.«
Daddy, mit stapelweise alten Quittungen und Müll zwischen den Füßen, schlug sich dann laut auf die Knie und brach vor Lachen im leeren Empfangsraum vor dem Geldautomaten, in dem wir in diesen Stunden vor Sonnenaufgang völlig allein waren, fast zusammen. Auf dem gesamten Weg vom Drogenumschlagplatz bis zurück nach Hause bat er mich immer wieder um eine Wiederholung meines Slapsticks. Zurück in unserem Wohnhaus, konnte man Leonards kreischende Stimme schon im ganzen Hausflur hören, bevor wir überhaupt den Schlüssel in die Tür gesteckt hatten.
»Ohne die Kinder, Jeanie, hätte ich einen Superjob. Oh, diese kleinen Biester«, sagte er gern. »Ich wünschte nur, ich könnte ihnen mal eine Tracht Prügel verpassen, wenn sie frech werden, diese
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