Als der Tag begann
noch Daddy zu Hause waren, machte ich mich auf den Weg ins Bett. Als das Diorama in Sicherheit auf meiner Kommode stand, tappte ich im Dunkeln durchs Zimmer und schlüpfte unter die Decke. Mein Kopf sank auf das Kissen. Draußen zischten Autos vorbei, warfen mit ihren Scheinwerfern sich schnell bewegende Schatten an meine leeren Wände. Ein Gatter, kaum hörbar durch das Rauschen des Regens, klapperte im Wind. Das wiederholte Klick lullte mich in den Schlaf, bis ein näheres, eindringlicheres Geräusch mich zurückholte und aufweckte – Mas Bierflasche, die im Rhythmus zu ihrem wippenden Fuß Kling- und Schwappgeräusche machte.
»Hallo, Schätzchen.« Ma, die mit ihrem Gewicht meine Matratze eindrückte, saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Bettkante, die fast leere Bierflasche in der Hand.
»Hi, Ma.« Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und war sofort bereit, sie zu trösten, ihr gut zuzuhören, egal, wie abwegig es auch war.
»Möchtest du reden? Geht es dir gut?«, hakte ich nach.
Im Mondlicht schimmernde Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie wischte sie ungelenk mit dem Handrücken ab. Sie sagte nichts,
atmete nur tief durch und ließ ihren Tränen freien Lauf. Bei Mas Monologen wusste ich immer, was ich zu tun hatte, aber dieses Schweigen war neu für mich. Ich war nervös, unbeholfen.
»Ma, rede mit mir … Du weißt, ich liebe dich. Ma? Ich liebe dich! Was immer auch ist, du solltest mit mir reden. Hat jemand in der Kneipe etwas Böses zu dir gesagt? Du weißt, dass ich das wissen möchte …«
»Ich liebe dich, Schätzchen. Lass dir niemals von irgendwem einreden, du seiest nicht meine Kleine. Hast du verstanden? Egal, wie alt du bist, du bist und bleibst meine Kleine.«
»Ma, bitte, sag, was ist los?« Angesichts ihres von einem ungesagten Schmerz verzerrten Gesichts wünschte ich mir eine unsere besseren Nächte herbei, wenn Ma ihr dickes, lockiges Haar öffnete, damit es über meine Wangen strich, während ich im Bett lag. Sie kitzelte mich dann so lange, bis ich vor Lachen beinahe platzte. Aber manchmal war sie dazu einfach nicht in der Lage. Schon solche Nächte, das wusste ich, fielen ihr nicht leicht. Und sie brauchte meine Hilfe für die schlimmeren, wie diese hier, wenn die Erinnerungen an ihre Vergangenheit sie einholten. Genau dann musste ich ihr zuhören, sie trösten, genau dann brauchte sie mich am meisten.
»Ma, ich liebe dich. Du darfst nicht weinen. Wir alle hier lieben dich. Egal, was es ist, es ist nicht schlimm.«
Ich suchte in ihrem Blick nach Zustimmung, aber sie war ganz woanders. Mir war klar, dass dies hier eine unserer langen Nächte werden würde, in der wir redeten, bis es draußen hell wurde und die Vögel den einzigen Lärm machten. Der Gedanke allein daran machte mich unendlich müde. Ich dachte an Mrs Pinders und den Lesewettbewerb am nächsten Morgen, und ich wünschte mir irgendetwas herbei, wodurch Ma genauso müde werden würde wie ich. Vielleicht schlief sie dann ja auch einfach ein.
»Okay, Ma, rede mit mir.« Ich nahm ihre Hand; sie war feucht von ihren Tränen.
»Lizzy, hör zu. Ich werde immer Teil deines Lebens sein. Immer .
Und wenn du mal groß bist …» Sie schluchzte plötzlich und stieß ein lautes Stöhnen aus, das mir Angst machte. »Wenn du mal groß bist und eigene Kinder hast, werde ich auf sie aufpassen. Ich werde sehen, wie du deinen Schulabschluss machst. Du bleibst für immer meine Kleine. Das weißt du, ja? Egal, wie groß du bist, du bleibst immer und ewig meine Kleine.«
»Lass dich umarmen, Ma.« Ich begann zu zittern, versuchte aber mit aller Kraft, meine Angst zu verbergen. »Ich weiß, dass du immer da sein wirst. Ich werde auch immer für dich da sein. Mach dir nicht so viele Sorgen, Ma.«
»Lizzy, Schätzchen, ich bin krank … Ich bin krank, ich habe Aids. Sie haben es im Krankenhaus festgestellt. Daddy fand es besser, nichts zu sagen, bis ich wirklich krank werde … Sie haben einen Bluttest gemacht. Ich habe Aids, Lizzy.«
Fernsehbilder von blassen Männern, die dahingestreckt auf Tragbahren liegen, kamen mir in den Sinn; Menschen auf Klappbetten, geschafft von ihrer Krankheit. Ich erinnerte mich an jemanden, der gesagt hatte, alle Aids-Patienten würden irgendwann sterben. Ich brauchte nur einen Augenblick, um diese Bilder und das Wort Tod mit Ma in Verbindung zu bringen. Würde Ma bald sterben? Ein heißes Kribbeln stieg aus meinem Bauch empor, und ich brach in Tränen aus.
»Ma, stirbst du? Stirbst du,
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