Als die erste Atombombe fiel
und ich bete jeden Tag darum.
(Abb. 4) Sachiko Habu ist Hausfrau, wohnt in Hiroshima.
Meine Mutter bekam die Strahlenkrankheit
Ruriko Araoka
Schülerin der 5. Klasse, damals vier Jahre alt
Der 6. August 1945 – die Erinnerungen an den schrecklichen Tag stehen mir noch deutlich vor Augen. Gegen acht Uhr an diesem Morgen ging ich mit meiner Mutter fort, um etwas zu besorgen. Die Schwester meiner Mutter begleitete uns. Meistens sagte meine Großmutter, ich solle nicht hinter meiner Mutter herlaufen, weil ich ihr Schwierigkeiten machen würde und Mutter nicht so kräftig sei. An diesem Morgen aber sagte sie, ich solle mit Mutter gehen. Am Anfang von Yagenbori, einem Bezirk im Zentrum von Hiroshima, trennte meine Tante sich von uns.
Während Mutter sich mit Frau Yamamoto unterhielt, vor dem Haus der Moritas, hörten wir das Geräusch eines Flugzeugs. Kurze Zeit später leuchtete es grell auf wie ein Blitz und dann kam ein fürchterliches Dröhnen.
Ich wurde unter dem Haus eingeschlossen. Ich rief »Mutter«, so laut ich konnte, und meine Mutter rief: »Ruri-chan! Ruri-chan!« Meine Hände und Füße waren unverletzt, darum kroch ich auf ihre Stimme zu, und als ich sie fand, war ich so froh, dass ich weinen musste. Bald fand Mutter eine Öffnung zwischen den Matten und trug mich nach draußen. Wir gingen zurück nach Hause.
Unser Haus war völlig eingestürzt. Man konnte von draußen alles sehen, was oben gewesen war. Ich rief nach meiner Großmutter, bekam aber keine Antwort. Mutter gab sich große Mühe, sie zu finden. Viele Menschen liefen vorbei. Sie versuchten zu fliehen. Mutter nahm mich auf ihren Rücken und lief auf die Hauptstraße. Im gleichen Moment kam eine Nachbarin vorbei, die meinen kleinen Bruder auf ihrem Rücken trug. Er hatte Brandwunden an Gesicht und Händen und sein Gesicht war ganz geschwollen. Armes kleines Kerlchen! Er war drei Jahre alt und ein so süßer kleiner Junge. Er starb eine Woche später. Als er starb, rief er: »Mama, Mama!«
Wir und die Frau, die meinen kleinen Bruder trug, gingen in Richtung Westen zum Hijiyama-Hügel, einer Parkanlage in Bahnhofsnähe. Es gab wieder Luftalarm und wir mussten zu einem Luftschutzunterstand laufen. Der Hügel war bedeckt mit Menschen, deren Kleider verbrannt waren. Bei manchen hing verbrannte Haut herunter, und einige waren völlig schwarz und schon tot.
Meine Mutter und ich liefen lange umher und suchten Großmutter, aber wir konnten sie nicht finden. Schließlich begann Mutter zu weinen. Großmutter wird noch immer vermisst.
Später zogen wir nach Midorii, einem Dorf nördlich von Hiroshima. Man sagte mir, dass Mutter nicht mehr lange leben würde, weil sie die Strahlenkrankheit habe. Ich weinte jedes Mal, wenn ich daran dachte, wie einsam ich ohne sie sein würde. Aber dann ging es ihr besser. Es war wie ein Wunder. Ich war sehr glücklich.
Später kam Vater gesund zurück von einer fernen Insel. Ich habe jetzt zwei neue Brüder und wir sind alle glücklich. Aber jedes Mal, wenn ich an den schrecklichen Tag denke, sehe ich meinen niedlichen kleinen Bruder vor mir, wie er starb und »Mama, Mama!« rief, und meine Großmutter, die so gut zu uns war. Ich bete immer darum, dass es nie mehr einen Pikadon 6 geben möge.
(Abb. 5) Das Zentrum Hiroshimas – nach dem Atomangriff.
6 Wortbildung aus pikari = Blitz und don = Knall, siehe das folgende Kapitel.
Pikadon und schwarzer Regen
oder: Die Gewalt der Atombombe kannte niemand
Pikadon nannten die Menschen das, was über sie hereingebrochen war. Pikadon bedeutet so viel wie »großer Feuerknall«. Von dem tatsächlichen Geschehen hatte niemand eine rechte Vorstellung, weder in Hiroshima noch außerhalb. In Tokio stellte man am Morgen des 6. August 1945 zunächst lediglich fest, dass die Telefon- und Telegrafenverbindungen nach Hiroshima nicht mehr funktionierten. Erst im Laufe des Vormittags sickerte die Nachricht durch, die Stadt sei durch eine einzige Bombe vernichtet worden.
Die japanische Regierung vermutete, dass die Vereinigten Staaten jene Geheimwaffe eingesetzt hatten, von der schon lange gemunkelt worden war und an der sich auch japanische Wissenschaftler versuchten. Um die Bevölkerung jedoch nicht zu beunruhigen, ordnete das Informationsministerium an, das Ereignis in den Zeitungen herunterzuspielen.
Die Bezeichnung »Atombombe« fiel erst in einer Rede des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman, die am 7. August von allen Rundfunksendern der USA übertragen und
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