Als die Roemer frech geworden
Versuche der „Vergewaltigung“ vonseiten derer, die sich unterlegen fühlten, eingesetzt
wurden: gegen die Habsburger, den Papst, gegen die deutschen Fürsten und den Partikularismus und zuletzt gegen das napoleonische
Frankreich. Eine definitive |119| nationale Instrumentalisierung von Arminius als Freiheitsheld, als Retter gegen den „welschen“ Imperialismus Napoleons, gewann
die Verehrung vor allem in diesem Kontext. Die bekannte
Hermannsschlacht
Heinrich von Kleists etwa atmet diesen Geist auf einem hohen künstlerischen Niveau. 4
Mit Blut und Eisen – das Bismarckreich und Hermann
Einen Höhepunkt durchlief die Arminius-Verehrung in Deutschland nach der Einigung Deutschlands 1870/71 im deutsch-französischen
Krieg. Die Verehrung erfasste alle Kreise, auch die Intellektuellen, darunter diejenigen, die es „von Amts wegen“ hätten besser
wissen müssen. Dazu zählte Theodor Mommsen, der sich im Jahr 1848 für die „kleindeutsche Lösung“ (ohne Österreich) im „Deutschen
Verein“ engagiert hatte. 5 Damals hatte der „Wunschkaiser“ Friedrich Wilhelm IV. nicht nur die Wahl des Parlaments abgelehnt, sondern auch alle demokratischen
Bestrebungen mit Waffengewalt erstickt. Für ihn übernahm in der Folge der Bruder, der spätere erste deutsche Kaiser, die Regierungsgeschäfte,
den Mommsen ein Vierteljahrhundert später zusammen mit dem Reichskanzler als Vollender der Sendung des Arminius „mit Blut
und Eisen“ feierte, gegen den Erzfeind Frankreich.
Wenige Wochen nach der Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles suchte Mommsen in einem Vortrag über „Die Germanische
Politik unter Augustus“ in vielen aktualisierenden Begriffen Parallelen zwischen der Einigung von 1871 und dem Freiheitskampf
des Arminius aufzuzeigen, ohne allerdings einer Expansion für seine Zeit das Wort zu reden. 6 Mit der Bewertung der Varuskatastrophe im 5. Band der
Römischen Geschichte
zusammengenommen, wird erkennbar, dass Mommsen die Bedeutung der Varuskatastrophe im Zusammenhang mit dem pannonischen Aufstand
als „Doppelschlag“ begriff, der der (16 v. Chr. konzipierten) römischen Expansion bis zur Elbe endgültig ein Ende gesetzt
und die Römer auf den Rhein als Grenze dauerhaft verwiesen habe. Der Plan, die rechtsrheinischen Gebiete bis zur |120| Elbe zu erobern, sei „mit den Legionen des Varus zugrunde“ gegangen. Insofern – so wieder im Vortrag von 1871 – markiere die
Varuskatastrophe einen „Wendepunkt der Weltgeschichte“. Mehr noch als Arminius, der der „verlorenen nationalen Unabhängigkeit“
„in einem Verzweiflungskampf“ glücklich Geltung verschafft habe, seien aber „die Kopf- und Mutlosigkeit des römischen Feldherrn“
und „die Mangelhaftigkeit der Offiziere und der Truppen selbst“ für das Ergebnis der Kämpfe im Jahr 9 n. Chr. ursächlich anzuführen.
Das Scheffel-Lied und Heines Wintermärchen
Die Zeit nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches zog viele, ursprünglich durchaus kritisch-distanzierte Zeitgenossen
in den Bann. Beispielhaft mögen dafür die Änderungen an den Strophen des hier öfters zitierten Studentenliedes stehen.
Was als national-kritisches Lied eines Studenten begann, wurde zu einem Gedicht der nationalen Gesinnung. Der Autor Josef
Victor (von) Scheffel, wie Mommsen Abgeordneter im 1848er-Parlament, hatte in der ersten Fassung von 1849 in manchen Strophen
den nationalen Zeitgeist in all seiner Unbeholfenheit verspottet: „Und zu Ehren der Geschichten / Will ein Denkmal man errichten,
/ Schon steht das Piedestal, / Doch wer die Statue bezahl / Weiß nur Gott im Himmel!“
Der Spott traf eine offene Wunde: Das Hermann-Denkmal (s. Abb. auf S. 123) in Detmold, an einem „Ort“, der bis dato als der
Hauptkandidat für den Untergang des Varus galt, war in den 1840er-Jahren begonnen worden, hatte jedoch erst durch Spenden
1875, nach 56 Jahren, seine längst fällige Ausgestaltung erfahren. Seither stand Arminius als Statue mit Flügelhelm bedeutungsschwanger
gegen den Erzfeind Frankreich ausgerichtet.
Aber nicht nur das Denkmal, sondern auch die gesamte Heldenverehrung um Hermann hatte schon vor Scheffels Lied, im Vormärz,
den Spott der Zeitgenossen herausgefordert. Verwiesen sei auf Heinrich Heines bekannte, 1844 gedichtete Verse aus dem
Wintermärchen
, |121| cap. 11, die auf das Ereignis und das Denkmal abzielten:
Das ist der Teutoburger Wald,
Den Tacitus
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