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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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dieses Therapeuten verbarg. Aber nicht jetzt. Noch nicht. Er brauchte seine menschlichen Sinne noch.
    » Was ist dann mit Ihnen?«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Dr. Roth sah diesen Faden oder spürte ihn zumindest, da war er sich ganz sicher. Aber wie war das möglich? » Wenn Sie die Schattenwesen nicht sehen können, wieso wissen Sie dann überhaupt von ihnen?«
    Dr. Roth lachte leise. Dann schloss er die Hand um den Faden. Ein Ruck ging durch den Körper von Gabriels Bestie, und sie jaulte erschreckt auf.
    » Ich gebe zu– mir ist vor einigen Jahren etwas Ungewöhnliches zugestoßen«, erklärte er, noch immer mit einer Freundlichkeit, die Gabriel einen Schauer über den Rücken jagte. » Man könnte sagen, es war der Wendepunkt in meiner Karriere.« Dr. Roth lehnte sich gemächlich zurück. Der Schattenfaden spannte sich unter dem leichten Zug, und gleichzeitig spürte Gabriel ein Kribbeln durch seine Brust schießen wie einen Stromschlag.
    » Damals war ein Junge namens David Keller bei mir in Behandlung«, fuhr der Therapeut fort. » Er klagte über Magenschmerzen und behauptete, ein Wurm würde in ihm leben und ihn von innen fressen. Aber natürlich hat das niemand geglaubt. Nicht einmal ich.« Der Doktor lächelte versonnen. » Wie dumm von mir. Der Wurm versuchte mit aller Macht, in unsere Welt zu gelangen. Er quälte David so sehr, dass der Junge irgendwann versuchte, sich den Wurm aus dem Leib zu schneiden. Damals erfuhr ich zum ersten Mal von der Existenz der Schattenkreaturen. Und es gelang mir, den Wurm einzufangen. Schau her.«
    Noch einmal zog er an dem Schattenfaden. Die Bestie hinter Gabriel brüllte auf– und in diesem Moment verdichtete sich der Rauch mit einem Zischen, zog sich zusammen, schlängelte und wand sich und verfestigte sich schließlich zu dem fast zwei Meter langen schlangenartigen Körper eines gigantischen Wurms. Die feuchten Platten des Rückenpanzers glänzten rötlich schwarz. Unzählige winzige Menschenarme sprossen anstelle der Füße unter dem Panzer hervor, und starre Augen glitzerten in einem maskenhaft menschlichen Gesicht zwischen den scharfen Kieferzangen. Dr. Roth lächelte, als der Wurm an seinen Waden emporkroch und den Kopf in seinen Schoß legte, den kurzen Hals unter den messerscharfen Beißwerkzeugen schutzlos entblößt. » Darf ich vorstellen: der Hunderthändige. Die einzige Schattenkreatur, der es jemals gelungen ist, die Grenze zwischen den Welten zu durchbrechen. Verzeihung– abgesehen von Maries Feen natürlich.«
    Schockiert starrte Gabriel auf das Wesen. Ihm war plötzlich schwindelig. Das war mehr, als er erwartet, und viel schlimmer, als er befürchtet hatte. Tatsächlich. Der Wurm war nicht im Schatten des Doktors. Er war außerhalb, nur mit ihm verbunden durch das zugleich feste und flüchtige Band aus Rauch. Gabriel hätte nicht einmal seine Gabe gebraucht, um ihn zu sehen. Seine Bestie tobte und schrie, dass er glaubte, taub zu werden. Aber wie war das möglich? Schattenkreaturen, die die Grenze zwischen den Realitäten durchbrachen, das kannte er von den Feen. Aber ein Mensch, der die Schatten eines anderen fing? Und das, ohne sie auch nur sehen zu können?
    » David starb.« Dr. Roth packte den Wurm an der Kehle, der ein schrilles Kreischen ausstieß, sich wand und zappelte. » Doch mein Freund hier hat eines nicht bedacht: Ganz ohne den schützenden Schatten des Menschen, zu dem sie gehören, können die Schattenkreaturen in unserer Welt nicht lange überleben. Darum hat er sich auf mich gestürzt: um meine Schattenkreatur zu töten und mich als neuen Wirt zu nutzen. Als ich ihn sah, konnte ich nicht mehr anders, als David zu glauben.« Der Therapeut lächelte Gabriel an, der wie erstarrt dasaß. » Und das war mein Glück. Denn dadurch bin ich auf die Kraft der Schattenkreaturen gestoßen und habe mir einiges an Wissen über sie und die Heilkraft ihres Blutes angeeignet. Das hast du nicht gewusst, nicht wahr? Dass das Blut von Schattenwesen heilende Wirkung für uns Menschen besitzt? Nein, woher solltest du auch.« Die Hand des Doktors glitt in seine Tasche und förderte ein kleines Skalpell zutage. Der Wurm auf seinem Schoß wimmerte und schrie nun so erbärmlich, dass Gabriel schlecht davon wurde. » Ich weiß, du willst sagen, dass wir die Schatten nicht berühren können. Da magst du recht haben. Aber ein Schatten, der sich in unserer Welt befindet, hat sehr wohl die Möglichkeit, andere Bestien zu verletzen. Und

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