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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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umso hilfloser zurückgelassen hatte.
    Dr. Roth unterbrach sie kein einziges Mal. Er machte sich nicht einmal Notizen. Er hörte nur aufmerksam zu– und erst, als er ihr noch immer schweigend ein Taschentuch reichte, wurde Marie bewusst, dass sie weinte. Nicht die heißen, verzweifelten Tränen vom Vorabend. Sondern Tränen der Erleichterung, weil die Angst, die sich in ihr angestaut hatte und die sie schon den ganzen Tag mit sich herumtrug, sich nun endlich kribbelnd auflöste. Erleichterung, weil sie jetzt endlich den wahren Grund für ihre Anspannung kannte: Sie hatte geglaubt, geheilt zu sein. Der letzte Anfall war so lange her, dass sie geglaubt hatte, nie wieder einen erleben zu müssen. Und es war dieser Irrtum, der ihr am allermeisten zusetzte. Würde sie denn ewig damit leben müssen, ohne dass jemals jemand herausfinden konnte, was mit ihr los war?
    Eine ganze Weile blieb es still im Besprechungszimmer, abgesehen von Maries gelegentlichem Schniefen. Dr. Roth ließ sie weinen, bis die Tränen auch die letzten Reste der Anspannung fortgespült hatten.
    » Du weißt, dass ich deine Probleme niemals herunterspielen würde«, sagte er schließlich langsam und sah sie dabei mitfühlend an. » Aber um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass du dir ernsthafte Sorgen um deine Freundschaft machen musst. Ich bin mir sicher, Theresa ist sich gar nicht im Klaren darüber, wie sehr sie dir wehgetan hat. Das hast du ja selbst schon gesagt. Verliebte rennen sehr oft wie ein Elefant durch den Porzellanladen, weil sie eine bestimmte Tasse haben wollen , und dabei bemerken sie gar nicht, welche Schmuckstücke dabei noch zu Bruch gehen. Traurig, aber wahr– in solchen Situationen bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als Geduld zu haben.«
    Gegen ihren Willen musste Marie ein wenig lachen. Sich die zierliche Theresa als plumpe Elefantendame vorzustellen, ließ das ganze Dilemma gleich viel weniger dramatisch erscheinen.
    Um Dr. Roths Augen erschienen einige Lachfältchen, als er Maries schon viel gelösteres Gesicht betrachtete. Doch seine Miene blieb ernst. » Was den Anfall betrifft, würde ich dir allerdings gern noch ein paar Fragen stellen.« Er musterte sie aufmerksam. » Ist das für dich in Ordnung?«
    Marie putzte sich ein letztes Mal die Nase und warf das Tuch in den Mülleimer, den der Doktor zu ihr hinüberschob. Dann nickte sie. Der schlimmste Teil war überstanden, da würden sie auch ein paar weitere Fragen nicht mehr aus der Bahn werfen. Innerlich fühlte sie sich jetzt angenehm leer und erschöpft– wie jedes Mal, wenn sie Dr. Roth ihr Herz ausgeschüttet hatte. Am Ende der Sitzung war sie zugleich auch am Ende ihrer Kräfte, fast wie ausgebrannt. Es war, als würde das Gespräch mit ihrem Therapeuten die dunklen Teile ihrer Gedankenwelt einfach aus ihr heraussaugen und dabei einen Teil ihrer Energie mitnehmen, um sie als leere, leichte Hülle zurückzulassen. Es war ein etwas merkwürdiges Gefühl. Aber Marie mochte es.
    Dr. Roth nahm seine Brille von der Nase und neigte sich ein Stück vor, um Marie noch ein wenig eindringlicher zu mustern. Auf seiner Stirn waren ein paar kleine Falten erschienen. » Sag, Lea Marie«, setzte er an, und seine Stimme klang dabei besonders sanft und behutsam, als wüsste er, dass er ein empfindliches Thema ansprach. » Erinnerst du dich noch daran, wie du mir in einer unserer ersten Sitzungen deine Anfälle beschrieben hast? Du warst damals noch sehr klein.«
    Marie spürte, wie sie ein bisschen rot wurde. Und gleichzeitig versetzte ihr die Frage einen schmerzhaften Stich. Ihre ersten Sitzungen bei Dr. Roth hatte sie vor etwa neun Jahren gehabt. Ein Jahr, nachdem ihr Vater morgens in ein Auto gestiegen und nie mehr nach Hause gekommen war. Damals hatten die Anfälle sie oft heimgesucht– und nachdem kein noch so spezialisierter Arzt eine körperliche Ursache dafür hatte feststellen können, war sie schließlich an den Kinder- und Jugendpsychologen Dr. Roth verwiesen worden. Ihm und seiner einfühlsamen Art war es zu verdanken, dass die Anfälle schon sehr bald immer seltener wurden und dass Marie nicht, wie verschiedene Ärzte es vorgeschlagen hatten, mit Verdacht auf eine schizophrene Psychose in die Kinderpsychiatrie eingewiesen worden war.
    Anfangs allerdings hatte Marie sich geweigert, allein mit dem Doktor zu sprechen, und sich sogar mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, in die Praxis zu gehen. Daran zu denken, war ihr inzwischen fürchterlich peinlich. Zaghaft

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