Als die schwarzen Feen kamen
her.«
Marie verschränkte die kalten Finger im Schoß. Ihre Lippen waren plötzlich trocken. Bei allem Vertrauen, das sie ihrem Therapeuten entgegenbrachte, fielen ihr solche Gespräche immer noch schwer.
» Ich denke… ich… es könnte damit zusammenhängen, dass ich mich mit Theresa gestritten habe.«
Dr. Roth nickte ernst. Eine nachdenkliche Falte war auf seiner Stirn erschienen. Eine ganze Weile sah er wie in Gedanken versunken aus dem Fenster.
» Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte er schließlich. » Ich sage Ellen, dass sie uns einen Tee machen soll. Und dann erzählst du mir ganz in Ruhe, was gestern los war. Einverstanden?«
Marie zog die Füße aufs Sofa und schlang die Arme um die Knie. » Einverstanden«, murmelte sie und spürte, wie eine unbestimmte Erleichterung sie durchströmte. Dr. Roth würde ihr sicher sagen können, was sie tun sollte. Oder ihr zumindest ein bisschen von der Angst nehmen, die Marie schon den ganzen Vormittag die Luft abgedrückt hatte. Hier zwischen den cremefarbenen Polstern und den Sonnenstrahlen, die auf ihr Gesicht fielen, schienen das Flattern, der Schmerz und die Dunkelheit in ihrer Brust weit entfernt und viel weniger bedrohlich zu sein.
Dr. Roth nickte ihr mit einem warmen Lächeln zu und stand auf. Während er den Raum verließ, lehnte Marie sich zurück und starrte an die Decke, auf der noch immer die Lichtflecken des Windspiels leuchteten. Mit halbem Ohr hörte sie zu, wie der Doktor mit der Sprechstundenhilfe sprach, wie draußen ein Stuhl gerückt wurde und ein Wasserkocher zu brodeln begann.
Marie schloss die Augen und versuchte, sich die passenden Worte für ihre Geschichte zurechtzulegen. Aber das war nicht leicht. Den Anfall selbst konnte sie inzwischen gut beschreiben, auch wenn es mehrere schwierige Sitzungen gebraucht hatte, bis sie die Empfindungen, die sie dabei überschwemmten, zum Ausdruck hatte bringen können: das Flattern, das ganz leicht begann und dann zu einem kleinen, schmerzhaft vibrierenden Ball in ihrer Brust wurde, der sich immer weiter ausdehnte, als würde etwas in ihr wachsen, etwas Lebendiges, Zappelndes, das immer größer wurde, bis in ihrem Körper kein Platz mehr dafür war. Schließlich schrumpfte es in Sekundenschnelle wieder und verschwand mit einem letzten qualvollen Stich in der Magengegend– als ob es in ein Loch mitten in Maries Eingeweiden hineingesaugt würde. Auch die Übelkeit, die lähmende Angst und die Schwäche, die mit jedem Anfall kamen, hatte sie Dr. Roth schon oft und ausführlich geschildert.
Aber noch nie das Gefühl des Alleinseins. Die Fassungslosigkeit darüber, von ihrer Freundin verraten worden zu sein, und dass es diese überhaupt nicht kümmerte. Das hatte Marie noch nie zuvor erlebt, und am liebsten hätte sie es nicht einmal dem Doktor erzählt. Aber irgendwo tief in ihr nagte das unbestimmte Gefühl, dass es zwischen diesem Ereignis und ihrem neuerlichen Anfall einen Zusammenhang gab– und dass es deshalb wichtig war, darüber zu reden.
Als dicht bei ihr Geschirr klapperte und das Polster des Sessels ihr gegenüber leise raschelte, schlug sie die Augen wieder auf. Dr. Roth hatte wie versprochen ein Tablett mit Tee und Keksen auf den kleinen Tisch zwischen sie gestellt und wieder Platz genommen. Mit ruhigen Bewegungen goss er dampfenden Tee in die zwei weißen Porzellantassen und reichte Marie eine davon.
» Also dann, wollen wir?« Seine Stimme klang freundlich und beruhigend, und Marie versuchte erneut, sich zu entspannen. Die Wärme der Tasse kribbelte angenehm in ihren Fingern, die sich noch immer nicht ganz von der Winterkälte draußen erholt hatten. Sie konnte das, versuchte sie sich selbst zu ermutigen. Auch wenn es schwer fiel, es würde ihr helfen. Sie würde herausfinden, was mit ihr los war. Irgendwie.
Entschlossen nickte sie.
Dr. Roth ließ zwei Kandiswürfel in seine Tasse fallen. » Na, dann schieß mal los.«
Ohne noch weiter darüber nachzudenken, begann Marie zu erzählen. Nachdem sie die ersten Worte ausgesprochen hatte, ging es überraschend leicht. Sie redete einfach drauflos, und die Geschichte floss nur so aus ihr heraus, angefangen mit dem unseligen Tanzkurs und ihrem kläglichen Versuch, ihren und Theresas gemeinsamen Nachmittag zu retten. Sie erzählte von Johannes, von Kathrin und vom Rumbatanzen, von ihrer eigenen Unfähigkeit dabei, vom Treffen in der Toilette, von der Schneestille– und schließlich von ihrem Anfall, den niemand bemerkt und der sie dafür
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