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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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Gabriel damit enttäuschte, aber sie wusste genau, dass sie keine weiteren dieser Bilder sehen wollte. Irgendetwas in ihr sperrte sich energisch dagegen, sich in diesem Augenblick noch tiefer auf diesen Wahnsinn einzulassen. Denn wie Wahnsinn fühlte es sich an.
    » Ich glaube nicht.« Sie schüttelte noch einmal den Kopf. » Ich fürchte, ich kann das jetzt nicht, verstehst du? Ich will nichts mehr sehen, ich… ich habe so schreckliche Angst!«
    Es war befreiend, es auszusprechen. Plötzlich fühlte sich Marie viel leichter als noch Sekunden zuvor. Ja, sie hatte Angst. Erdrückende, nackte Angst. Vor dem, was mit ihr geschah, und davor, dass sie nicht wusste, warum es geschah oder wie sie es aufhalten konnte. Wenn wirklich die Feen schuld waren, dass ihre Mutter krank geworden war, und wenn sie wirklich durch ein Tor in Maries Schatten kamen, konnten dann nicht jederzeit weitere kommen? Und die, die schon gekommen waren: Wo steckten sie jetzt? Was hatten sie mit Karin gemacht, und warum– und was noch viel wichtiger war: Würden sie nicht auch andere Menschen angreifen, die sich in Maries Nähe aufhielten? Und was konnte sie dagegen tun? Konnte sie überhaupt irgendetwas tun? Marie begann von Neuem zu zittern. Sie schlang die Arme um ihre Beine, um sich daran festzuklammern, und presste die Stirn gegen die Knie, um nichts mehr sehen zu müssen.
    Eine Hand berührte leicht ihr Schienbein. » Sie sind jetzt nicht da«, sagte Gabriel sanft. » Du brauchst keine Angst zu haben.«
    Seine Stimme klang so ruhig und tröstlich, dass Marie ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre. Stattdessen verkrampfte sie ihre Finger fest in den Stoff ihrer Hosenbeine. Eine ganze Weile saß sie so zusammengekauert da, ohne den Blick zu heben. Sie konnte nichts mehr sagen. Das war alles viel zu viel. Sie saß nur da und spürte, wie das Zittern langsam verebbte und eine bleierne Erschöpfung anstelle der Angst trat. Sie war fürchterlich müde und zugleich hellwach.
    Gabriel neben ihr seufzte verhalten. » Am besten ruhst du dich erst mal ein bisschen aus«, sagte er und stand auf. Zaghaft hob Marie den Blick und sah ihm nach, wie er durchs Zimmer ging, die Leinwände auf einen Stapel in der Nähe des Fensters legte und schließlich den Gitarrenkoffer, der neben der Tür an der Wand gelehnt hatte, zum Bett hinübertrug. » Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich ein bisschen übe.«
    Marie schüttelte schnell den Kopf. Das schlechte Gewissen packte sie erneut. Sie war einfach in seinen Sonntag eingedrungen und hatte ihn vermutlich von allem Möglichen abgehalten, was er hatte erledigen wollen– wie zum Beispiel Gitarre zu üben. » Soll ich gehen?«, fragte sie vorsichtig und hoffte im gleichen Moment, dass er Nein sagen würde. Sie wollte nicht gehen. Sie wollte nicht nach Hause, obwohl sie sich dafür schämte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, in diese stille, unheimliche Wohnung zurückzukehren, wo ihre Mutter wie eine Fremde in ihrem Bett lag. Dabei sollte sie wirklich bei ihr sein und sich um sie kümmern, dachte Marie zerknirscht. Was sie tat, war schäbig und feige. Aber sie hatte im Moment einfach nicht die Kraft, das durchzustehen. Auch wenn sie sich selbst dafür hasste.
    Gabriel hob indes verwundert die Augenbrauen. » Nein, warum denn? Mein Sofa ist dein Sofa.« Er lächelte. » Bleib, so lange du willst.«
    Mit einem leisen Klicken öffneten sich die Schlösser des Gitarrenkoffers und Gabriel hob den Deckel an. Marie wagte zögernd, ihre Knie loszulassen und die Beine auszustrecken. Ihre Füße lagen nun an der Stelle, wo die Polster noch warm von Gabriels Körper waren. Die ersten Töne drangen leise und klar vom Bett zu ihr herüber. Stimmtöne nur, aber für Marie klangen sie unglaublich lebendig und eindringlich. Sie hatte nicht gewusst, dachte sie beeindruckt, dass eine Gitarre so klingen konnte. Überrascht wandte sie den Kopf. Aber Gabriel sah sie gar nicht mehr an, er konzentrierte sich nur darauf, die Saiten in Harmonie zu bringen. Dennoch hatte Marie das Gefühl, dass die zarten Klänge sie direkt ansprachen, als würde das Instrument ihr tröstend etwas zuflüstern. Und als die Gitarre schließlich zu singen begann, füllte sich die kleine Wohnung nach und nach mit einer wundervollen Ruhe. Die schwebenden Töne ließen das Licht der Papierlampe weicher und die Luft ein wenig wärmer scheinen. Marie rutschte noch tiefer in die Sofakissen und zog die Decke bis über ihren Bauch. Die Musik streichelte sie

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