Als die schwarzen Feen kamen
beiden Händen packte er die Fee und riss an ihr, bis sie endlich von ihm abließ. Keuchend schleuderte Gabriel sie so weit in den Nebel hinein, wie er konnte. Blut strömte heiß über seine kalte Haut, und er hob die Hand, um die Wunde zu betasten– als er in der Ferne das vielstimmige Rauschen unzähliger Flügel hörte.
Feen kamen niemals allein.
Hastig wich Gabriel zurück. Im letzten Moment, bevor die Feen ihn erreichten, presste er die Hände auf das Loch in Maries Schatten, so fest er konnte. Wie ein harter Wasserstrahl schlugen sie gegen seine Handflächen und versuchten, ihn zurückzudrängen. Er spürte, wie die Haut aufriss, und sah, wie Blut seine Hände hinabrann und schließlich auf den Boden tropfte. Aber Gabriel gab nicht nach, obwohl ihm vor Schmerz schwarz vor Augen wurde.
Und dann, von einer Sekunde zur nächsten, war der Druck an seinen Händen verschwunden, und er prallte zurück, so plötzlich, dass er beinahe hintenübergefallen wäre. Mit Mühe gelang es ihm, das Gleichgewicht wiederzufinden. Ungläubig starrte er auf seine Hände. Die Haut an seinen Handballen fühlte sich noch immer wund an. Aber von den Rissen war nichts mehr zu sehen. Ebenso wenig wie von den Blutspuren auf seinen Armen und dem Fußboden. Und im nächsten Moment erkannte er auch den Grund: Maries Augen waren offen. Sie war aufgewacht und sah ihn mit verschlafenem Blick an.
Gabriel atmete schwer. Er musste sich zusammenreißen, um nicht seine Wange zu betasten. Doch er wusste, dass auch diese Wunde nicht mehr da war. Die Feen waren nah an der Wirklichkeit. Zu nah. Aber sie hatten die Grenze nicht vollständig überschreiten können. Sie konnten an ihm nicht vorbei, und sie hassten ihn dafür. Gabriel hatte ihren Zorn in jeder einzelnen Berührung gespürt. Es war ein merkwürdiges Gefühl, als säße er in einem Felsspalt, durch den ein wilder Gebirgsbach Richtung Tal floss. Das kalte Wasser staute sich an seinem Rücken und versuchte, an ihm vorbeizudrängen, aber sein Kreuz war zu breit, und er hielt sich gut fest. Dennoch, je länger er standhielt, desto größer wurde der Druck und umso schmerzhafter der Griff um die Felsen. Irgendwann würde das Wasser über ihn hinwegsteigen, oder seine Kraft würde nachlassen, und er würde einfach mitgerissen werden… So betrachtet, begriff Gabriel, gab es nichts, was er tun konnte. Er konnte nur aushalten und hoffen, dass ein anderer die Quelle versiegeln würde. Wie lange er noch durchhalten würde, wusste er nicht. Aber noch war es nicht so weit.
» Alles in Ordnung?« Er legte eine Hand auf Maries Knie. Er konnte nicht sagen, ob sie etwas von dem, was gerade geschehen war, mitbekommen hatte, aber er glaubte es nicht. Dafür war sie zu ruhig.
Eine Weile schien es, als würde sie stumm bleiben. Schließlich aber nickte sie. » Ich glaube, ich sollte langsam nach Hause gehen.«
Gabriel atmete tief durch. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sie von nun an keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen. Aber wie sollte er sie festhalten? Sie musste nach Hause, natürlich.
Zu ihrer Mutter.
Gabriel rang sich ein Lächeln ab. » Sicher. Ich gehe noch ein Stück mit.«
Marie sah ihn überrascht an. Doch zugleich hellte sich ihr Gesicht merklich auf. » Danke.«
Sie glaubte wirklich daran, dass er ihr helfen konnte, erkannte Gabriel erstaunt. Er sah es in ihren Augen. Sie fühlte sich sicher, wenn er bei ihr war, und das, obwohl er bisher wirklich noch nichts getan hatte, das sie davon hätte überzeugen können. Gabriel spürte, wie es in seinem Inneren ein wenig wärmer wurde. Sie kannte sein Geheimnis und vertraute ihm trotzdem. Das war mehr, als er sich je von irgendeinem Menschen zu wünschen gewagt hätte. Und in diesem Augenblick wusste er, er würde alles tun, um dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen. Dieses Gefühl wollte er nie wieder verlieren.
Er brachte sie den ganzen Weg bis nach Altona in ihre Wohnsiedlung. Die gesamte Zeit über sprach keiner von ihnen ein Wort, obwohl Gabriel mehrmals das Gefühl hatte, dass Marie noch etwas auf der Seele brannte. Aber er sagte nichts, bis sie vor der Tür des Mehrfamilienhauses standen, in dem sie mit ihrer Mutter wohnte.
» Also.« Er zog einen Mundwinkel leicht in die Höhe. » Ich denke, den Rest schaffst du allein.«
Maries Lächeln, als sie den Schlüssel aus ihrer Tasche kramte, wirkte etwas zögerlich, aber sie nickte. » Na klar.«
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hätte Gabriel sie am liebsten bis vor die
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