Als die schwarzen Feen kamen
sanft, und sie fühlte, wie ein Teil der Anspannung von ihr fortgetragen wurde. Mit einem zitternden Atemzug schloss sie die Augen und lauschte auf die leichte, friedliche Melodie, die nach Frühling klang, nach Sonne und Licht und leuchtenden Farben. Es war unmöglich, dachte Marie und spürte, wie sie nach und nach ruhiger wurde. Wie konnte jemand, der so einfühlsam Gitarre spielte, einen so schrecklichen Schatten haben, dass er nicht einmal darüber reden wollte? Hätte sie in diesem Moment die Zeit anhalten können, sie hätte es getan, ohne lange darüber nachzudenken. Obwohl sie noch Minuten zuvor sicher gewesen war, sich niemals wieder entspannen zu können, glitt sie im nächsten Augenblick in einen erschöpften Schlaf, noch bevor das erste Lied verklungen war.
Elftes Kapitel: Ein Blick in die Schatten
Irgendwann, als er alle beruhigenden Stücke gespielt hatte, die ihm einfielen, legte Gabriel die Gitarre zur Seite und ging vorsichtig zum Sofa hinüber, um nach Marie zu sehen. Sie hatte sich auf dem schmalen Polster zusammengerollt, die Decke bis zur Nasenspitze gezogen, und atmete tief und gleichmäßig.
Ein Lächeln stahl sich in Gabriels Mundwinkel. Er hatte ihr für eine kleine Weile Frieden geben wollen, und er wusste aus Erfahrung, dass das Gitarrenspiel ihm selbst schon immer gegen die Angst geholfen hatte. Es war den Versuch wert gewesen. Und wie es aussah, hatte es funktioniert.
Gabriel ließ sich vor dem Sofa auf die Knie sinken und betrachtete Maries entspanntes Gesicht. Für einen Moment spürte er den Drang, die Hand auszustrecken und ihr über die Wange zu streicheln. Aber er tat es nicht. Er wollte sie nicht versehentlich wecken. Auch ohne, dass er sie störte, war es ein trügerischer Frieden, der nicht lange halten würde. Denn das Loch in Maries Schatten war immer noch da. Genauso wie die Stadt dahinter. Ein nervöses Kribbeln zog durch Gabriels Körper, als ein wahnwitziger Gedanke durch seinen Kopf zuckte. Es war die perfekte Gelegenheit. Er konnte sich die Stadt näher ansehen, ohne Marie zu verstören. Vielleicht konnte er sogar die Geflügelten– oder Feen, wie Marie sie nannte– beobachten und sehen, was sie taten. Es wäre mehr als dumm, diese Chance ungenutzt zu lassen. Trotzdem stieg allein bei dem Gedanken, Maries Schatten zu berühren, Übelkeit in ihm auf.
Es war falsch. Gabriel konnte sich nicht gegen den Gedanken wehren, obwohl er nicht wusste, warum er sich dessen so sicher war. Die zwei Seiten der Realität durften nicht in so engen Kontakt kommen, durften sich nicht so beeinflussen. Was er vorhatte, war verboten. Vielleicht würde er dadurch alles nur noch schlimmer machen.
Aber es gab keine andere Möglichkeit– oder?
Gabriel biss die Zähne zusammen. Nur ein kurzer Blick. Nur eine kleine Weile, um besser zu verstehen, was in Marie vorging. Vorsichtig streckte er die Hand nach dem Loch im Schatten aus, spürte, wie die Dunkelheit sich näherte und der Durchgang ein wenig größer wurde. Gabriels Herz hämmerte wie wild.
Licht drang durch die Öffnung, weiß und stechend. Nebel verschleierte ihm die Sicht, strich kühl und feucht über seine Wangen und versickerte in seiner Haut. Gabriel würgte, als er ihn einatmete. Er konnte nichts sehen, außer undeutlichen Schemen. War dort draußen jemand? Marie? Aber das konnte doch nicht sein… Er spürte, wie ihr Körper sich unruhig bewegte.
Der Nebel war überall. Wie ein blasses Leichentuch hüllte er alles ein, und selbst von seiner Seite des Durchgangs aus spürte Gabriel die stumpfe Leblosigkeit, mit der er Maries Welt erstickte. Was war dieser Nebel? Und wo kam er her? Das war nicht normal, nicht einmal für eine Schattenwelt. Dieses Gift würde Marie von innen heraus zerstören. Die Erkenntnis bohrte sich wie ein Dorn in Gabriels Gedanken. Er verengte die Augen, ohne dass es seine Sicht nennenswert verbessert hätte. Wenn er bloß etwas mehr erkennen könnte…
In diesem Augenblick zuckte ein schwarzer Blitz durch sein Blickfeld, und ein vibrierendes Pfeifen stach wie ein spitzer Schrei in seine Ohren. Erschrocken fuhr er zusammen. Für einen Sekundenbruchteil nur schwebte das Wesen kaum eine Handbreite von seinem Gesicht entfernt, die ledrigen Lippen öffneten sich zu einem Fauchen– und dann stieß die Fee vor. Sie prallte gegen Gabriels Gesicht, bevor er zurückweichen konnte, und verbiss sich in seiner Wange. Eisiger Schmerz jagte über seine Haut, und ein ersticktes Wimmern entwich seiner Kehle. Mit
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