Als die schwarzen Feen kamen
Wohnungstür begleitet oder auch gleich die ganze Nacht an ihrem Bett gesessen, für den Fall, dass etwas passierte. Das Gefühl, sie unbedingt beschützen zu müssen, ließ sich einfach nicht mehr abschütteln. Er wollte es nicht einmal. Aber gleichzeitig war ihm klar, dass er mit so etwas gar nicht erst anfangen durfte. Er war nicht Maries Retter und würde es auch nicht werden– konnte es gar nicht werden. Das Erlebnis mit den Feen hatte ihm deutlich gezeigt, dass seine Möglichkeiten, ihr zu helfen, begrenzt waren. Es war ihr Schatten, ihre Welt. Er wollte und würde sie unterstützen, wo er konnte. Aber retten musste sie sich letztendlich selbst.
» Dann schlaf gut.« Gabriel lächelte, aufmunternd, wie er hoffte. » Wir sehen uns morgen in der Schule.«
Doch anstatt sich zu entspannen, versteifte Marie sich, noch bevor er ganz ausgesprochen hatte. Es war nur eine leichte Veränderung ihrer Haltung, unmerklich fast, aber er sah es sofort. Gabriel schluckte betreten. War er, ohne dass er es beabsichtigt hatte, doch noch auf das Thema gestoßen, das ihr so schwer fiel anzusprechen?
Marie biss sich auf die Unterlippe, und Gabriel konnte sehen, wie sie mit sich darum rang, die Worte herauszubringen. Schließlich stieß sie sie hastig hervor, als wollte sie sie so schnell wie möglich loswerden. » Du… es tut mir leid, aber ich glaube, es ist besser, wenn wir in der Schule erst mal nicht miteinander reden.«
Gabriel runzelte verwirrt die Stirn. Nicht miteinander reden? Was für eine seltsame Bitte. Andererseits ergab es schon einen Sinn. Natürlich würde es für Marie zusätzlichen Stress bedeuten, wenn sie plötzlich ihren Freundinnen erklären musste, warum sie sich über das Wochenende aus heiterem Himmel mit einem Zwölftklässler angefreundet hatte. Einem Zwölftklässer, für den ihre beste Freundin zu allem Überfluss schwärmte. Gabriel war nicht dumm und er war auch nicht blind. Selbstverständlich hatte er die Blicke bemerkt. Er hatte sie nur ignoriert, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Ihm war seine eigene Beliebtheit in der Schule von Anfang an eher unangenehm gewesen, vor allem weil sie so plötzlich über ihn hereingebrochen war.
In seiner alten Schule, bevor er bei seinen Eltern ausgezogen war, war er ein Einzelgänger gewesen, einer, vor dem die anderen Kinder, Jungen wie Mädchen, sich fürchteten, weil er seine Angst vor ihren Schattenkreaturen nicht hatte verstecken können. Der Spinner, das war er gewesen. Der, der versucht hatte, sich umzubringen. Niemand hatte etwas mit ihm zu tun haben wollen. Doch als er in die Oberstufe seiner jetzigen Schule gewechselt war, war er mit einem Mal der exotische Neue gewesen, den alle kennenlernen wollten und von dem niemand mehr sagte, er wäre verrückt. Natürlich, insgeheim genoss er es auch ein wenig. Es bestätigte ihn in seiner Entscheidung, einen Neuanfang zu versuchen. Jetzt aber stand ihm diese Beliebtheit gewissermaßen im Weg– und das versetzte ihm einen unangenehmen Stich.
Marie starrte noch immer auf ihre Schuhspitzen. Sie wartete auf eine Antwort.
Gabriel räusperte sich leise. Er musste sich zusammenreißen, ermahnte er sich. Sich über Maries Freundinnen zu ärgern, war hier nun wirklich fehl am Platz. Auch wenn er den Gedanken, so zu tun, als hätten er und Marie nie miteinander gesprochen, fast unerträglich fand. » Okay«, sagte er nur. » Aber melde dich, wenn du Hilfe brauchst. Egal, ob wir dann in der Schule sind oder nicht. Versprochen?«
Marie hob überrascht den Kopf. Dann aber entspannten sich ihre Schultern, und Gabriel sah eine ehrliche Dankbarkeit in ihrem Blick, die ihn sofort versöhnlicher stimmte.
» Versprochen.« Sie lächelte schwach.
Gabriel hob einen Mundwinkel. Er würde einfach da sein, dachte er. Nur für den Fall, dass sie ihn brauchte. Es musste ja niemand etwas davon wissen, das war schon in Ordnung. Er konnte damit zufrieden sein. Fürs Erste. » Schön. Dann schlaf gut.«
Marie nickte, und ihr Lächeln wirkte nun schon ein wenig freier. » Du auch. Gute Nacht.«
Gabriel legte ihr ein letztes Mal leicht die Hand auf die Schulter. Dann wandte er sich ab, um sie nicht noch länger zu zwingen, in der Kälte zu stehen. Hinter sich hörte er ihre Schritte auf dem verschneiten Weg und schließlich die Haustür auf- und wieder zugehen.
Dann war er mit der Nacht und dem Schnee allein.
Zwölftes Kapitel: Kampfesmut
Die Wohnung war dunkel und still, als Marie die Tür aufschloss und in
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