Als die schwarzen Feen kamen
ihrer Haut ab. Wie von weit entfernt glaubte Marie, ein hämisches Kichern zu hören. Die Feen lachten sie aus, freuten sich an ihrer Hilflosigkeit. Sie wusste, es würde keinen Sinn machen, noch einmal Dr. Hansen anzurufen. Sie würde weder die Schatten sehen noch die Stimmen hören und nur weiter darauf pochen, dass Marie und Karin eine Haushaltshilfe brauchten. Eine Haushaltshilfe!
Marie hielt es nicht länger aus. Mit einem Knall schlug sie die Schlafzimmertür hinter sich zu und lief ins Bad. Aber das hässliche Kichern ließ sich nicht abschütteln. Es füllte die ganze Wohnung, und geflügelte Schatten schienen in jeder Ecke zu flimmern, egal wo Marie hinlief. Noch nie hatte sie sich so gewünscht, die Zeit bis zum Schulanfang würde schneller vergehen. Ohne Frühstück und weit vor der Zeit, zu der sie sich normalerweise auf den Weg machte, verließ sie die Wohnung. Sie musste hier raus. Sie musste Gabriel sehen. So schnell wie möglich.
In der Schule erschien Marie an diesem Tag alles seltsam unscharf und weit entfernt, als beobachtete sie alles durch eine dunkel getönte Scheibe, über die unablässig die verschwommenen Umrisse der Feen huschten. Ihr Kopf schmerzte und pochte schon nach kürzester Zeit wie rasend. Das Reden und Lachen ihrer Mitschüler drang nur gedämpft zu ihr durch, weil das Kichern und Wispern zahlloser Feenstimmen ohne Unterbrechung durch ihre Ohren rauschte. Sie bewegte sich mechanisch auf ihren gewohnten Wegen durch die Schulkorridore und beteiligte sich an Gesprächen, ohne überhaupt zu begreifen, wovon sie gerade sprach. Auf dem Schulhof hatte sie Gabriel nicht entdecken können, obwohl sie verzweifelt nach ihm Ausschau hielt. Alles schien unter einem grauen Schleier zu liegen. In Gedanken war Marie weit weg von Partys, Kino und anderen Wochenendbeschäftigungen, sogar von Theresas und Jennys Erzählungen über das Konzert. Vage bekam sie mit, dass ihre Freundinnen außergewöhnlich guter Stimmung waren und dass der Sänger Theresa bei The Racing Rats sogar die Hand geschüttelt hatte.
Aber das waren Dinge, die Marie nicht kümmerten. Nicht heute. Nicht jetzt, wo sie in den wenigen Momenten, in denen die Stimmen der Feen leiser wurden, nur noch daran dachte, dass Karin sich immer weiter in sich selbst zurückzog und dass Marie sie endgültig nicht mehr zu erreichen vermochte. Was konnte sie nur tun, damit ihre Mutter sie wieder ansah? Damit sie mit ihr sprach? Jeder noch so erbitterte Streit wäre Marie hundertmal lieber gewesen als die apathische Starre, die Karin im Griff hielt. Und wo war nur Gabriel? Wahrscheinlich hielt er sich von ihr fern– genau wie sie es gewollt hatte. Jetzt bereute sie es.
Mit leerem Blick sah sie auf die Tafel, wo Frau Jesse gerade irgendeine trigonometrische Formel erklärte. Marie war normalerweise gut in Mathematik. Heute aber wäre es ihr schon schwer gefallen, auch nur das kleine Einmaleins aufzusagen.
Etwas stach sie leicht in die Hand. Die Spitze eines Geodreiecks. Überrascht wandte Marie den Kopf nach links und sah direkt in Theresas besorgte Augen.
» Hey, alles klar?«, wisperte diese fast unhörbar.
Noch bevor die Bedeutung der Worte ganz zu Marie durchgedrungen war, hatte sie schon den Kopf geschüttelt.
Theresa runzelte die Stirn. » Du bist käseweiß im Gesicht.«
Marie schluckte. » Geht schon«, murmelte sie.
» Echt?« Theresa sah sie skeptisch an. » Willst du nicht lieber…?«
In diesem Moment klopfte Frau Jesse mit einem ihrer hageren Knöchel laut an die Tafel. Marie zuckte zusammen. Augenblicklich wurde es totenstill in der Klasse.
» Ich schätze, ich muss gleich meinen Granatwerfer holen«, erklärte Frau Jesse in ihrer unnachahmlich trockenen Art. » Oder haben die Damen aus der letzten Reihe vielleicht etwas Sinnvolles zum Thema beizutragen?«
Marie schoss das Blut in die Wangen. Sich auch noch mit ihrer Mathelehrerin anzulegen, war wirklich das Letzte, was sie heute gebrauchen konnte. Sie setzte schon zu einer Entschuldigung an– da kam Theresa ihr zuvor.
» Frau Jesse, Marie geht es nicht gut. Ich glaub, sie muss mal an die frische Luft.«
Frau Jesse hob die Brauen und warf Marie einen aufmerksamen Blick zu. Dann durchquerte sie mit energischen Schritten den Klassenraum und baute sich vor Maries Pult auf. » Na wirklich, du siehst ja aus wie ein Zombie.« Sie verengte die Augen und neigte sich ein Stück vor, um Marie eindringlich zu mustern. » Ich würde sagen, du lässt dich jetzt von Theresa ins
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