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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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bekommen. » Bitte! Schnell!«
    » Wo bist du?«
    » Zu Hause.« Ihre Stimme kippte und wurde hysterisch schrill. » Meine Mutter stirbt!«
    Am anderen Ende der Leitung folgte ein kurzes Schweigen. » Bleib wo du bist«, sagte Gabriel dann. » Ich bin gleich da.«
    » D… danke.« Marie spürte, wie ihre Beine nachgaben. Das Rauschen der Feenflügel, ihr Kreischen und Kichern, das aus dem Wohnzimmer zu ihr herüberdrang, schmerzte in ihren Ohren und nahm ihr alle Kraft. Kaum hatte sie die Verbindung unterbrochen, fiel ihr das Handy aus den Fingern, und sie sackte mitten auf dem Teppich zu Boden, die Hände auf die Ohren gepresst. Aber es nützte nichts. Wimmernd kauerte Marie sich auf dem Fußboden zusammen. Sekunden, Minuten, Stunden, Ewigkeiten– sie hätte nicht sagen können, wie viel Zeit verging.
    Aber dann hörte sie ein Klirren und gleich darauf wurde es still am anderen Ende des Flurs. Langsam nahm Marie die Hände von den Ohren. Waren die Feen etwa weg? Oder warteten sie nur darauf, dass Marie dumm genug war, sich noch einmal im Wohnzimmer zu zeigen?
    Marie blieb liegen, wo sie war, und lauschte noch einmal. Nein, es war nichts mehr zu hören. Aber taub war sie nicht, denn nun drang leise wieder das Ticken der Küchenuhr zu ihr durch. Vorsichtig richtete sie sich auf. Sie musste nach Karin sehen, dachte sie, sie musste… Übelkeit stieg in ihr auf, als das Bild ihrer Mutter ihr wieder vor Augen stand. Das Loch in ihrer Brust, durch das die Feen hervorbrachen. Marie würgte und presste sich die Hand vor den Mund. Nein, sie konnte nicht. Sie konnte da nicht hingehen, nicht allein…
    In diesem Moment klingelte es an der Tür. Das Geräusch brach laut in die unnatürliche Stille und Marie konnte gerade noch einen erschreckten Aufschrei unterdrücken. Gabriel!
    Ihre Hand zitterte, als sie nach dem Schlüssel griff. Sie musste die Tür öffnen, dachte sie. Sie musste Gabriel hereinlassen. Aber ihre Beine wollten sie kaum tragen. Auf dem Weg durch den Flur warf sie immer wieder hektische Blicke über die Schulter.
    Aber alles blieb still. Und die Tür zum Wohnzimmer blieb geschlossen.
    Noch nie hatte sich das Summen des Türöffners so befreiend angehört, und noch nie war Marie über Schritte auf der Treppe so glücklich gewesen. Sie lief Gabriel entgegen, kaum dass er den letzten Absatz erreicht hatte, und fiel ihm um den Hals.
    Eine Weile sagte er gar nichts, hielt sie nur fest. Marie spürte seine warmen Hände auf ihrem Rücken und seinen Atem in ihrem Haar.
    » Bin ich zu spät?«, murmelte er schließlich.
    Marie wich unwillkürlich ein Stück zurück und starrte ihn aus großen Augen an. Sie wusste es ja gar nicht, wurde ihr eiskalt bewusst. Sie hatte keine Ahnung, wie es Karin ging. Ob sie noch…
    » Ich weiß es nicht. Sie hatte… sie hatte ein Loch… hier.« Sie presste die Hand auf die Brust und musste von Neuem den Würgereiz unterdrücken, als das Bild aus ihrer Erinnerung mit aller Macht wiederkehrte. » Und die Feen…«
    Gabriel griff nach ihrem Handgelenk. Seine Augen leuchteten seltsam dunkel. » Wo ist sie?«
    Marie sah zurück zur geöffneten Wohnungstür. Im gleichen Augenblick kam ihr der Gedanke, dass es unglaublich dumm war, hier draußen im Hausflur zu stehen und keinen Schlüssel in der Tasche zu haben.
    » Im Wohnzimmer«, flüsterte sie.
    Gabriels Griff um ihr Handgelenk wurde fester. » Komm.« Er zog sie mit sanftem Druck in die Wohnung zurück.
    Er hatte recht, dachte Marie. Sie musste zumindest nachsehen, was wirklich mit ihrer Mutter passiert war. Auch wenn alles in ihr sich dagegen wehrte, auch nur einen Schritt weiter in Richtung Wohnzimmer zu gehen und der schrecklichen Wahrheit ins Gesicht zu sehen.
    Als Gabriel vorsichtig die Tür öffnete, wurde alles in Marie kalt und starr. Ein frostiger Luftzug erfasste ihr Haar. Das Zimmer war leer, und in der Fensterscheibe klaffte ein rundes Loch, als hätte jemand mit voller Kraft einen Ball hindurchgeschossen.
    Und über der Sofalehne hing ein schlaffer, weißer Arm. Nackt. Ohne jeden Schatten.
    Maries Atem stockte, und von einem Augenblick zum nächsten war jede Angst vergessen. » Mama!« Ohne dass Gabriel sie noch weiter hätte drängen müssen, stürmte sie vor und lief um das Sofa herum.
    Ihre Mutter lag in seltsam verdrehter Haltung zwischen den Polstern. Ihre Augen waren geschlossen. Das Loch in ihrer Brust war verschwunden, als sei es nie dagewesen– und sie atmete. Unregelmäßig zwar, flach und rasselnd, aber

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