Als die schwarzen Feen kamen
einem der angrenzenden Räume. Marie sah ihm nach, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte.
Schließlich wandte sie sich zu Gabriel um.
Gabriel lächelte sie an. Und auch wenn es ein ernstes Lächeln war, leuchteten seine Augen dabei so warm, dass Marie sich gleich etwas weniger verloren fühlte. » Also dann– gehen wir?«
Marie nickte. Es würde gut sein, hier herauszukommen, dachte sie. Und es würde gut sein, dass Gabriel bei ihr war.
Draußen auf der Straße begann es bereits zu dämmern. Das silbrig goldene Licht der Abendsonne fiel vielfach gebrochen durch die Geländerstreben der Elbbrücken und funkelte auf dem ruhigen Wasser darunter. Marie atmete tief durch. Es war befreiend, in der kalten Winterluft zu stehen, nachdem sie so lange im Dunst der Desinfektionsmittel gesessen hatte.
» Marie?«
Beim Klang von Gabriels Stimme drehte sie sich um. Er stand nur zwei Schritte von ihr entfernt, die Hände in den Manteltaschen vergraben, und sah fast ein wenig verlegen aus. » Ich… also, ich hoffe, ich war eben nicht zu aufdringlich. Du musst natürlich nicht mit mir kommen. Ich dachte nur, es wäre vielleicht am einfachsten so. Und dann wärst du auch nicht allein, bis deine Mutter wieder nach Hause kommt.«
Marie sah ihn überrascht an. Unwillkürlich schlug ihr Herz ein bisschen schneller. » Nein«, brachte sie heraus. » Ich meine, doch, sicher, also… das ist… ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür bedanken soll! Ich komme gern mit zu dir… Wenn es dir echt nichts ausmacht.«
Gabriel hob einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. » Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil.«
Ich bin ihr Freund. Wieder blitzten seine Worte in Maries Erinnerung auf, und sie nickte schnell. » Ja dann, wirklich sehr gern. Ich müsste nur noch ein paar Sachen von zu Hause holen.« Denn das Leben ging ja weiter. Die Schule– und morgen war auch wieder Dienstag. Tanzkurs. Wie weit entfernt von der Wirklichkeit ihr das alles schien. Absurd geradezu, obwohl doch das, was sie zurzeit erlebte, um ein Vielfaches unglaublicher war. Es war, als hätte sich ihre Wahrnehmung der Welt in kürzester Zeit komplett verschoben, sodass sie nun alles aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtete. Was hatte ein dummer Streit um einen Jungen überhaupt für eine Bedeutung im Vergleich zu den Dingen, die in dieser erweiterten Realität geschahen?
Auch Gabriels anderer Mundwinkel hob sich jetzt. Er sah erleichtert aus. » Alles klar. Dann wollen wir mal.«
Ganz kurz nur lag seine Hand erneut auf ihrem Rücken, als sie sich gemeinsam in Richtung U-Bahn auf den Weg machten. Und im gleichen Moment hatte Marie plötzlich das Gefühl, auf eine Weise sie selbst zu sein, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Ihre jetzige Situation war düsterer, beklemmender und schrecklich viel unsicherer als das Leben, das sie bisher geführt hatte. Aber zum ersten Mal, so lange sie sich erinnern konnte, hatte sie nicht ein winziges bisschen das Gefühl, sich hinter irgendjemandem zu verstecken. Sie war sie selbst. Nur Marie. Und niemand sonst.
Interludium: Erwachen
Die Lampe brannte auch in der Nacht.
Lea betrachtete die stetige Flamme, die sich am ölverschmierten Docht festklammerte, ohne auch nur ein einziges Mal zu zucken. Dicht bei ihr, so nah, dass seine Brust ihren Rücken berührte, lag der Maskierte und schlief. Sein Atem ging tief und gleichmäßig, seine Hand ruhte auf ihrer Hüfte. Seit Stunden, so kam es Lea vor, hatte sie den Blick nicht von der Laterne genommen, die die dünnen Schlieren fernhielt, die sich bei Nacht vom Nebel losrissen und ziellos durch die Dunkelheit trieben. Sie lauschte auf die Stimmen aus dem Jenseits, die durch das Tor drangen. Es war die dritte Nacht, in der sie den Feen gestattet hatte, ihren Körper als Durchgang in jene andere Welt zu nutzen. Ihre dritte Nacht ohne Schlaf. Sie hatte sich nicht daran gewöhnt. Es war, als würde ein eisiger Wind beständig durch ihren Körper blasen, ohne dass sie auch nur die geringste Chance hätte, sich dagegen abzuschirmen oder sich zu wärmen. Die Stimmen aber waren das Schlimmste. Lea hörte sie die ganze Zeit, während das Tor geöffnet war, als säße auf der anderen Seite eine große Gruppe Menschen, die sich lautstark unterhielt. Lea konnte einfach nicht weghören. Ständig glaubte sie, etwas verstehen zu müssen, aber es gelang ihr nie. Alles, was sie hörte, war ein unerträglicher Brei aus Geräuschen, gegen den sie auch nicht ankam, indem sie sich die
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