Als die schwarzen Feen kamen
mit Gabriel gesprochen hätte, er war nun einmal nicht hier. Und falls er wirklich in der Schule war, konnte sie ihn auch nicht anrufen. Aber das änderte nichts daran, dass sie sich jetzt zusammenreißen musste. Sie musste ins Krankenhaus fahren und sehen, wie es Karin ging. Hören, was Dr. Bartels zu sagen hatte. Hastig zog sie sich an und stopfte Handy und Portemonnaie in ihre Umhängetasche. Dann riss sie eine Seite aus ihrem Englischheft und schrieb Gabriel eine kurze Notiz, die sie an die Staffelei klemmte – nur für den Fall, dass er vor ihr zurückkehrte. Dann verließ sie eilig die Wohnung.
Die Krankenhausflure waren an diesem Mittwochmorgen nahezu menschenleer und Marie fühlte sich in der großen Eingangshalle ein wenig verloren. Am Empfangsschalter saß ein gelangweilt wirkender junger Mann, der die Tageszeitung las. Als Marie sich näherte, sah er auf.
» Guten Morgen.« Marie bemühte sich um ein Lächeln. » Ich wollte meine Mutter besuchen. Karin Anders.«
Der Mann nickte ohne großen Enthusiasmus. » Zimmer 211«, sagte er, ohne auf eine Liste sehen zu müssen. » Im zweiten Stock, durch die Glastür links. Dr. Bartels wartet schon auf Sie.«
» Vielen Dank.« Beim zweiten Versuch fiel Marie das Lächeln schon leichter. Das Gefühl der Verlorenheit ließ ein wenig nach und sie rückte den Riemen ihrer Tasche auf der Schulter zurecht. Ihr Magen kribbelte vor Aufregung, während sie in den Fahrstuhl stieg und den Weg nahm, den der Mann am Empfang ihr gewiesen hatte. Das Zimmer mit der Nummer 211 war leicht zu finden. Und tatsächlich kam Dr. Bartels ihr bereits auf dem Flur entgegen. Sein hageres Gesicht war genau so ernst, wie Marie es in Erinnerung hatte.
» Frau Anders.« Ein blasses Lächeln erschien auf den schmalen Lippen. » Schön, dass Sie gleich kommen konnten.« Er schüttelte Marie die Hand. » Sicher wollen Sie sofort zu Ihrer Mutter. Aber ich hoffe, Sie haben zuvor noch die Geduld für ein kurzes Gespräch.«
Marie nickte schnell. Natürlich wollte sie wissen, was der Arzt zu sagen hatte. Sicher würde es ihr helfen, sich besser darauf einzustellen, was sie in Zimmer 211 erwartete.
Dr. Bartels führte sie ein Stück zurück über den Flur in einen Raum, an dessen Tür in schwarzen Buchstaben Sprechzimmer – Bitte nicht stören stand. Dahinter befand sich ein kleines, mit drei Stühlen und einem Tisch spärlich eingerichtetes Zimmer.
» Bitte, nehmen Sie Platz.« Dr. Bartels wies auf einen der Stühle und setzte sich selbst gegenüber auf einen zweiten.
Marie folgte der Aufforderung. Sie war froh, ihre Tasche bei sich zu haben. So konnte sie sich wenigstens an etwas festklammern.
» Also. Wie geht es Ihnen, Frau Anders? Kommen Sie zurecht?« Der Arzt musterte sie eindringlich, und in seinem Blick erkannte Marie Besorgnis. Sie nickte.
» Ich wohne immer noch bei– meinem Freund.« Sie spürte, wie ihre Ohren bei diesen Worten heiß wurden. Es fühlte sich merkwürdig an, es auszusprechen, vor allem, da Marie sich keineswegs sicher war, ob es wirklich der Wahrheit entsprach. Es stimmte, sie wohnte jetzt bei Gabriel, und er war es gewesen, der vor den Sanitätern behauptet hatte, sie seien ein Paar. Deswegen war es vermutlich am klügsten, fürs Erste bei dieser Version zu bleiben. Aber in Wirklichkeit war Marie immer noch weit davon entfernt zu begreifen, was in Gabriel vorging.
Dr. Bartels nickte verständnisvoll. » Dann haben Sie jemanden, der Ihnen beisteht. Das ist gut.« Er räusperte sich, und Marie hatte den Eindruck, dass er sich darauf vorbereitete, ihr etwas Unangenehmes mitzuteilen. Das Atmen fiel ihr plötzlich schwer.
» Leider muss ich Ihnen nämlich sagen, dass wir Ihre Mutter vermutlich noch eine Weile werden hierbehalten müssen«, fuhr der Arzt fort. Sein Blick ließ Marie während des ganzen Gesprächs nicht eine Sekunde lang los. Unter normalen Umständen wäre ihr das unangenehm gewesen. Jetzt aber hing sie wie gebannt an seinen Lippen .
» Zwar ist sie heute früh aus dem Koma aufgewacht und ihr Zustand scheint stabil zu sein. Aber da sind immer noch diese Entzündungen und Wunden in ihrer Bauchhöhle, deren Ursache wir bisher nicht feststellen konnten. Sie heilen jetzt ab, aber ich würde Frau Anders nur ungern entlassen, ehe wir nicht zumindest davon ausgehen können, dass sich keine neuen Herde mehr bilden. Zudem ist sie psychisch noch nicht allzu belastbar.«
Marie schluckte mühsam. Sie hätte damit rechnen müssen, dachte sie. Und trotzdem…
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