Als die schwarzen Feen kamen
Sie hatte so gehofft, dass es ihrer Mutter einfach gut gehen würde, wenn sie nur erst wieder aufgewacht war. Vermutlich war das ein ziemlich naiver Wunsch gewesen. » Aber sie… ist doch nicht mehr in Lebensgefahr, oder?«
Dr. Bartels lächelte, doch seine Augen blieben ernst. » Nein, seien Sie beruhigt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich der Anfall wiederholen wird. Im Gegenteil, ihre körperliche Genesung macht gute Fortschritte. Wie gesagt, wir behalten sie nur wegen der erwähnten Ungereimtheiten noch ein paar Tage hier. Es wäre sicher hilfreich, wenn Sie in diesem Zeitraum täglich vorbeikommen könnten, um mit ihr zu sprechen. Glauben Sie, dass Sie dazu die Kraft haben?«
Marie presste die Lippen zusammen. Sie würde alles tun, dachte sie entschlossen. Alles, wenn sie nur endlich ihre Mutter zurückbekam! » Ja. Natürlich«, murmelte sie.
Dr. Bartels nickte verständnisvoll und erhob sich. » Dann kommen Sie. Ich bringe Sie zu ihr.«
Das Krankenzimmer, in dem Karin lag, unterschied sich in nichts von den Krankenzimmern, die Marie aus den Ärzteserien im Fernsehen kannte. Ein enger Raum mit zwei Betten, von denen eines leer war. Ein Fernseher an der Wand, Gardinen in schäbigem Orange, zwei schmale Schränke und der Geruch nach Desinfektionsmittel.
In dem Bett am Fenster lag reglos eine schmale Gestalt. Die hagere Brust hob und senkte sich langsam, ihre Augen waren geschlossen. Dr. Bartels zog leise die Tür hinter sich zu und ließ Marie mit ihrer Mutter allein.
Zögernd trat sie näher an das Bett heran. » Mama?«
Die Lider ihrer Mutter flatterten und hoben sich schließlich. Sie wandte den Kopf und sah Marie mit fragendem Blick aus leicht glasig wirkenden Augen an. » Marie?«
Ihre Stimme war brüchig und leise wie die einer alten Frau. Von ihrem gewohnten energischen Tonfall war nichts übrig geblieben.
Marie versteckte die Tränen in ihren Augen hinter einem Lächeln. Ihre Mutter lebte und die Feen quälten sie nicht mehr. Dafür musste Marie dankbar sein. Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett.
» Ja. Ich bin es. Wie geht’s dir?«
» Marie…« Karins Mundwinkel verzogen sich leicht, als versuchte sie, Maries Lächeln zu erwidern. Aber ihr Blick war leer und traurig. » Ich bin so froh, dass du da bist.«
Marie biss sich auf die Unterlippe. Dann brachte sie ein Nicken zustande und griff nach der Hand ihrer Mutter. » Ich… bin so froh, dass es dir besser geht.« Es fiel ihr schwer zu sprechen, weil ein dicker Klumpen ihren Hals verstopfte. Aber sie weigerte sich, vor Karin zu weinen. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter sah, wie sehr ihr Anblick sie quälte. Zu gern hätte sie jetzt Gabriel bei sich gehabt, damit er ihr zumindest bestätigen konnte, dass die Feen wirklich fort waren. Dass sie Karin nichts mehr tun würden.
Kummerfalten zogen tiefe Linien durch Karins Gesicht. » Es tut mir alles so leid«, flüsterte sie. » Ich hätte dir das nicht antun dürfen. Du solltest nicht allein sein.«
Marie drückte ihre Hand so fest, wie sie es wagte. Die Finger ihrer Mutter fühlten sich so weich und zerbrechlich an. » Ich bin nicht allein. Und es ist nicht deine Schuld. Es geht dir bestimmt bald wieder gut und dann kommst du nach Hause! Ich helfe dir dabei.«
Sie war sich bewusst, dass sie dieses Versprechen vielleicht nicht würde halten können, und das Wissen darum schmeckte bitter. Aber Marie wollte es unbedingt glauben. Wenn sie jetzt schon aufgab, wie sollte sie Karin dann helfen können?
Die Finger ihrer Mutter erwiderten den Druck, aber sie waren erschreckend kraftlos. » Ich bin so schrecklich müde. Dabei würde ich so gern länger mit dir reden. Diese verdammten Medikamente.« Ein schwaches Lachen kratzte in ihrer Kehle, kaum mehr als ein Husten, aber es gab Marie ein winziges bisschen Kraft. Karins alte Abneigung gegen Ärzte und Medizin– trotz allem hatte sie sie nicht verloren. Sie war immer noch sie selbst, auch wenn sie im Augenblick kaum mehr als ein schwaches Abbild ihrer einstigen Persönlichkeit war. Doch Marie würde sie schon wieder aufpäppeln. » Ich komme ja wieder«, versprach sie. » Jeden Tag. Ich lasse dich hier nicht allein, okay?«
Das Lächeln ihrer Mutter war nun deutlicher, aber Marie konnte sehen, dass ihre Lider immer schwerer wurden. Und auch ihre Stimme wurde von Wort zu Wort schleppender.
» Mein liebes Mädchen. Du glaubst gar nicht, wie glücklich ich bin, dass du da bist…« Erschöpft schloss Karin die
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