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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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Frau, die sich meine Tante nennt, doch das ist sie nicht. Sie ist gemein und grausam zu mir. Und das sind auch nicht meine Vettern, auch wenn ich sie so nennen muss. Jetzt kennst du mein ganzes Geheimnis. Ich werde dir erlauben, mich Prinzessin zu nennen.«
    Wieder streckte sie ihm die Hand entgegen, doch Tom achtete nicht darauf.
    »Und nun«, sagte sie, »werde ich mir gestatten, mit dir zu spielen.«
    »Ich hab nichts gegen Spielen«, sagte Tom starrköpfig, »aber ich bin es nicht gewohnt, dumme Mädchenspiele mitzumachen.«
    »Komm mit«, sagte das Mädchen.
    Sie zeigte ihm den Garten. Tom hatte geglaubt, er kenne ihn schon; doch nun, mit Hatty, sah er Orte und Dinge, von denen er keine Ahnung gehabt hatte. Sie zeigte ihm all ihre Verstecke: einen laubwerkverhangenen Spalt zwischen einer Mauer und einem Baumstamm, wo ein kleiner Menschenkörper sich gerade noch hineinzwängen konnte; einen Hohlraum inmitten eines Buchsbaums und einen Tunnel, der zu ihm hinführte – wie der durch die Hecke an der Wiese; einen Wigwam aus den Bohnenstangen, die Abel an das Heizungshaus gelehnt hatte; eine Reihe von Verstecken hinter den großen Farnwedeln, die entlang dem Gewächshaus wuchsen; einen fedrigen grünen Tunnel zwischen den Spargelhügeln. Sie zeigte Tom, wie man sich versteckte, indem man sich einfach hinter den Stamm der großen Tanne stellte. Man musste angestrengt lauschen und sich sehr sorgfältig bewegen – und geräuschlos natürlich – sodass der Stamm immer zwischen einem selbst und dem Suchenden war.
    Hatty zeigte Tom vieles, was er allein nicht hätte finden können. Als sie die Säcke über den Rhabarberfässern anhob, um ihm die Rhabarberknollen zu zeigen, fiel Tom etwas ein:
    »Hast du hier mal einen Zettel hinterlassen?«
    »Hast du einen gefunden?«
    »Ja – einen Brief an Elfen.« Tom verhehlte nicht, welchen Abscheu er empfunden hatte. »Elfen!«
    »Wer hat den bloß hier lassen können?«, fragte sich Hatty. »An Elfen! Stell dir vor!« Sie zog eine Grimasse, wenn auch verlegen, und wechselte rasch das Thema. »Komm mit, Tom! Ich zeig dir noch viel mehr!«
    Sie öffnete Türen für ihn. Sie löste den Haken an der Tür des Drahtverhaus und sie gingen hinein. Zwischen den Johannisbeersträuchern am hinteren Ende fanden sie eine Amsel, die sich, angezogen von den Beeren, auf einem unerlaubten Weg hereingezwängt haben musste. Als sie sich näherten, schlug der Vogel hektisch mit den Flügeln gegen den Draht, doch es gelang ihnen, um ihn herumzugehen und ihn vor sich her durch den Drahtverhau zu scheuchen. Mit erleichtertem Flattern flog er durch die Tür hinaus, die sie offen gelassen hatten. »Ein Glück, dass wir ihn gefunden haben«, sagte Hatty. »Ich fürchte, dass Abel …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube wirklich, dass er Vögel lieber verhungern sieht, als dass sie seine Beeren essen.«
    Für Tom öffnete sie die Tür zum Obstgarten am Sonnenuhrweg und dann die Tür des Gartenschuppens. Zwischen den Werkzeugen und Saatkästen und Blumentöpfen und Drahtrollen fanden sie einen Sack voller Federn – Hennenfedern und Gänsefedern. Hatty griff hinein und warf eine Hand voll in die Luft, und ein dichtes, braunweißes Federtreiben ließ Toms Nase kitzeln und niesen. Dann kroch Hatty lachend über den Boden und las alle Federn wieder auf und steckte sie zurück in den Sack, denn sonst würde Abel zornig werden. Tom setzte sich, die Beine über Kreuz, auf den Rand der Schubkarre und wies auf die eine oder andere Feder, die noch herabschwebte. Er hätte Hatty nicht helfen können, er wusste, dass er nicht einmal mit beiden Händen und aller Kraft auch nur eine Feder hätte hochheben können. Hatty, auf Händen und Knien umherkrabbelnd, schien unterdessen vergessen zu haben, dass sie eine Prinzessin war.
    Danach gingen sie zu dem kleinen, backsteinernen Heizungshaus neben dem Gewächshaus und Hatty machte Anstalten, auch dessen Tür für Tom zu öffnen. Aber sie war viel zu klein, um den Haken zu erreichen, mit dem die Tür ganz oben verschlossen war. Doch auf Zehenspitzen und mit dem Eibenzweig in der Hand konnte sie ihn schließlich lösen. Sie öffnete die Tür und die beiden stiegen die Stufen hinab ins dunkle Innere, wo es nach Rost und kalter Asche roch – draußen war es so warm, dass der Ofen für das Gewächshaus nicht an war. Auf einem kleinen Regal lagen zwei oder drei Bücher, die, wie Hatty sagte, Abel gehörten. Das Regal war zu hoch für sie, doch sie konnten sehen, dass das

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