Als die Welt zum Stillstand kam
sahen Jennas Notizbücher aus.
Als Celie die Kladde aufschlug, fiel ein Umschlag heraus. »Für Celie Kranen« stand darauf. Celie stockte der Atem. Doch dann wurde ihr klar, dass dies kein Brief ihrer Mutter sein konnte. Es war nicht ihre Handschrift.
Mit zitternden Fingern öffnete sie den Brief und wollte als Erstes die Unterschrift lesen. Doch als ihr Blick auf die Anrede fiel, lächelte sie: Der Brief konnte nur von einem sein.
Hallo, Kürbiskopf,
eigentlich solltest du das hier erst mit achtzehn bekommen. Aber eigentlich sollte Jenna auch noch nicht tot sein. Und eigentlich sollte die Welt nicht zusammenbrechen, wie sie es gerade tut. Außerdem: Wer weiß, ob wir uns noch mal wiedersehen. Wenn nicht, ist das meine letzte Gelegenheit, es dir zu geben. Hier ist also Jennas Tagebuch. (Ich hab’s übrigens nicht gelesen, sei unbesorgt.) Soweit ich weiß, hat sie an dem Tag damit begonnen, als deine Eltern zum ersten Mal etwas gebeamt haben. Sie wollte, dass du es bekommst, damit du irgendwann all den Mist verstehst, der danach passiert ist, mit deinem Vater und so.
Ich fand schon lange, dass du alt genug bist, um die Wahrheit zu erfahren. Aber Jenna hat es irgendwie nicht geschafft, mit dir zu reden. Na ja, du weißt ja am besten, dass Reden nicht gerade ihre Stärke war … Hätte sie es getan, dann wäre es zwischen euch vielleicht anders gelaufen. Jenna wusste selbst, dass es vor allem an ihr lag, dass ihr beide euch in den letzten Jahren nicht gerade packy verstanden habt. Vielleicht verstehst du sie ein bisschen besser, wenn du das hier gelesen hast. (Obwohl ich, wie gesagt, gar nicht genau weiß, was drinsteht. Aber ich hab so eine Ahnung.)
Ich weiß bislang übrigens genauso wenig wie alle anderen, wie die Tore ausfallen konnten. Darum mach ich mich jetzt auf den Weg nach Dublin zu T. O. R. Vielleicht kann ich da was rausfinden. Und mithelfen, das Netz wieder ans Laufen zu kriegen.
Ich wünschte, ich könnte dir jetzt wenigstens sagen, warum oder wie Jenna gestorben ist. Aber leider hab ich das nicht mehr herausfinden können. Ich war gerade dabei, Jennas Testtor (illegalerweise, verrat mich bloß nicht!) am allgemeinen Netz zu checken, als die Tore ausfielen.
Ach ja: Hinten im Getränkekeller findest du eine Tür (ich hab sie mit einem Leuchtpfeil markiert). Die führt in einen Kellerraum, den du wahrscheinlich gar nicht kennst. Darin ist die Notstromversorgung des Anwesens untergebracht und der Treibstoffvorrat dürfte noch einige Monate reichen. Felix hat das alles vor Jahren angelegt, ich glaub, nicht mal deine Mutter wusste davon. Er hat den Toren ja sein ganzes Leben lang nicht so richtig getraut … Ich hab den Strom angelassen, damit die Villa vor Einbrechern geschützt ist. Alle Sicherheitsanlagen, die auch ohne das Tornetz funktionieren, sind eingeschaltet. Du bist hier also eine Weile sicher.
Liebe Celie, sei deinen Eltern nicht allzu böse – sie haben dich sehr lieb gehabt, aber sie hatten jede Menge eigene Probleme, da bist du oft zu kurz gekommen.
Pass auf dich auf, Kürbiskopf, ich hoffe, wir sehen uns bald wieder!
Dein alter Freund Pierre
Es war schon spät am Abend, und Celie schlich immer noch um die Kladde herum, als wäre sie giftig. Und vielleicht war sie das ja auch. Vielleicht standen Dinge darin, die sie gar nicht wissen wollte. Vielleicht warf das Tagebuch mehr Fragen auf, als es Antworten enthielt. Und sie würde ihre Eltern nicht mehr fragen können, sie würde sie auch nicht mehr anschreien können. Sie würde mit dem, was sie erfuhr, ganz allein fertigwerden müssen.
Sie wünschte sich plötzlich so sehr, dass Alex da wäre, dass ihr ganz flau im Magen wurde. Um sich abzulenken, suchte sie in der Tiefkühltruhe nach etwas, das sie sich aufwärmen konnte.
Pizza Tonno mit Knoblauch und extra Käse. Alex’ Lieblingssorte. Ob er heute Abend auch etwas Warmes zu essen hatte? Oder ob er um jedes Stück Brot und jeden Schluck Wasser kämpfen musste?
Celie hatte plötzlich keinen Hunger mehr. Sie aß ein Stück Pizza am Couchtisch im Wintergarten und gab den Rest den drei Katzen, die sich wild um den Thunfisch balgten. Im schummrigen Licht einer Kerze, die sie angezündet hatte, um Strom zu sparen, starrte Celie wieder auf die Kladde.
Alex, hilf mir.
Und plötzlich konnte sie ihn aus den Augenwinkeln neben sich auf dem Sofa sehen. Lässig in die Ecke gefläzt, wie er es immer tat. Nicht, weil das cool war. Alex war wirklich so lässig. Er hatte sich schon immer
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