Als die Welt zum Stillstand kam
Moment lang glaubte Celie, Brigid würde sie ohrfeigen. Doch die hagere Frau schnaubte nur.
»So, das Bürgermeisterflittchen will also, dass meine Tochter wieder zum Klarinettenunterricht kommt«, höhnte sie.
Celie starrte Brigid an. Wie hatte sie sie genannt?
»Mag ja sein, dass du mit dem Oberboss vögelst, aber das gibt dir lange noch nicht das Recht, hier aufzutauchen und mir meine Tochter wegzunehmen!«
»Was redest du für einen Shit? Du bist doch total loco! Wie krank …«
»Ach?«, gab Brigid süffisant zurück. Ihre blauen Augen leuchteten fiebrig in dem blassen Gesicht. »Das ist also krank, dass ich meine Tochter beschützen will? Vor einer, die erst siebzehn ist und sich schon hochschläft? Ein Supervorbild für eine Sechsjährige, muss ich schon sagen!«
Celie stieß Brigid so heftig vor die Brust, dass sie gegen die Tür taumelte. »Ich hab nichts mit Jason, ich …«
»Und warum hat er dann die Musikschule wieder geöffnet? Obwohl doch jeder für die Maintenance-Jobs gebraucht wird? Doch nur, damit sein Flittchen nicht mehr so hart arbeiten muss wie wir anderen!«
Brigids selbstgefälliges Grinsen sprach Bände. Sie glaubte das wirklich! Dieses total kranke, wirre Zeug, das sie sich da zusammengesponnen hatte … Aber da war nicht das Geringste dran. Nein, das war völlig unmöglich. Jason konnte nicht im Ernst glauben …
Celie blinzelte. Nur das nicht. Keine Tränen.
»Und jetzt verschwinde und lass uns in Ruhe«, sagte Brigid schroff. Sie ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um.
»Eliza hat keine Zeit für Musik. Niemand hat Zeit für so was, das wüsstest du, wenn du nicht ständig mit dem Kopf in den Wolken rumlaufen würdest. Eliza sucht nach der Schule die abgeernteten Felder nach Resten ab, damit wir überleben, wie alle anderen auch.«
Die Tür schloss sich, aber Celie konnte sich nicht bewegen. In ihrem Kopf rauschte es. Brigid war total loco. In ihrem kranken Hirn hatte sie sich eine widerliche Geschichte zusammengereimt, die nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte.
Abgesehen davon, dass die Musikschule wiedereröffnet worden war, obwohl sogar die Kinder jetzt arbeiten mussten. Und abgesehen davon, dass Jason etwas von ihr wollte, auch wenn sie nicht genau wusste, was das war.
Aber vielleicht wusste sie es doch.
Bürgermeisterflittchen.
Plötzlich wurde Celie klar, dass sie sich Gewissheit verschaffen musste.
»Dawn, wie schön!« Karen rückte ihre Brille zurecht und nahm Celie den Kirschkuchen ab. »Eine Pause kann ich jetzt gut brauchen, und etwas Süßes noch mehr. Apfellimonade?«
»Gern«, sagte Celie.
Die alte Frau holte zwei Gläser und sie setzten sich auf die Bank in der Krankenhauseinfahrt. Es sah fast so aus wie noch vor wenigen Wochen und doch war alles anders.
»Ganz schön ruhig hier«, sagte Celie, um nicht gleich mit ihrer Frage herauszuplatzen. In der Einfahrt waren tatsächlich kaum Kranke und Verletzte zu sehen.
»Wir bekommen hier nur noch die wirklichen Notfälle rein«, sagte Karen. »Die anderen werden alle zu dem Notlager vor der Stadt umgeleitet.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich war gestern da und ich kam mir vor wie im Mittelalter!« Sie seufzte. »Wenn du keine Antibiotika mehr hast, nutzen dir auch die schönsten Nanobots nichts … Wir müssen eben einfach weitermachen mit dem, was wir haben. Und uns auf die alten Hausmittel besinnen: Zwiebeln bei Mittelohrentzündung, Umschläge mit warmem Kartoffelbrei bei Angina … Da fällt mir ein«, sie holte ein zerfleddertes Notizbuch aus Papier hervor, »wir sollten eine Datei mit Hausmitteln erstellen. Am besten wäre ein Aufruf über den Sender …« Sie notierte sich etwas, dann wandte sie sich an Celie. »Tut mir leid, ich vergess alles, wenn ich es mir nicht aufschreibe. – Wie geht es dir denn, Dawn? Die Musikschule ist wieder offen, habe ich gehört?«
»Dank dir«, sagte Celie.
Karen schaute sie verwirrt an. »Wieso dank mir?«
»Na ja, du hast dich doch im Rat dafür eingesetzt, dass wir wieder aufmachen können.«
Karen runzelte die Stirn. »Nein, das war ich nicht. Ich bin hier nicht rechtzeitig fertig geworden, darum hab ich die letzte Sitzung verpasst.«
In Celies Kopf machte sich Leere breit. Sie merkte kaum, dass Karen wieder zu sprechen begann.
»… hatten sie das wahrscheinlich sowieso auf der Agenda. Jedem sollte ja klar sein, dass ohne ein bisschen Abwechslung alles noch viel schneller zusammenbricht, als wenn der Müll mal nicht
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