Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
mich überaus wertvoll.
Wenn ich Dr. Brühne in seiner Praxis besuchte, redete ich ihn mit ›Sie‹ an, wenn eine Schwester anwesend war. Aber unsere Augen sprachen ihre eigene Sprache. Dies wiederholte sich immer, wenn ich zu meinen Angehörigen fuhr oder er einen Kontrollbesuch auf dem Berg machte.
Endlich, endlich bekam ich einen Brief von Gisela. Mutter hatte ihn mir umadressiert auf den Berg geschickt. In Postkartengröße war ein Foto von ihr beigefügt, auf der Rückseite stand: ›Meiner lieben Petra‹. Aufgenommen war es im November 1947, sie sah darauf so erwachsen aus, ihre Augen aber erschienen mir leer, alles an ihr wirkte fremd und abweisend. Während ich ihre Zeilen las, wurde mir klar, dass sie Schreckliches durchgemacht hatte. Sie schrieb, dass sie von polnischen Besatzern verschleppt worden war und erst nach einem Jahr wieder nach Hause kam. ›Frage mich bitte nicht, in welchem Zustand ich zurückkam‹, schrieb sie mir. Wäre es damals möglich gewesen zu reisen, mich hätte nichts davon abhalten können, zu ihr zu fahren, sie in den Arm zu nehmen, so wie sie es auch getan hatte, um mich zu trösten, als die Nachricht von Karls Tod kam. Was wäre aus mir geworden, wenn ich auch auf Rügen geblieben wäre?
Den Brief beantwortete ich umgehend, ich schrieb Gisela, wo ich sei, dass ich im Sommer zur Uni als Gasthörer ginge, aber alles mehr oder weniger aus ›Spaß an der Freud‹. Gisela hatte nur kurz erwähnt, dass sie von Laurenz nichts gehört habe, aber die Post konnte in den Wirren des Krieges auch verloren gegangen sein. Daher erwähnte ich absichtlich nichts von unserer Zeit in Radebeul, sicher würde es bei ihr neue Wunden aufreißen, davon hatte sie, weiß Gott, jetzt gerade genug und musste vieles dazu verarbeiten. Wir versprachen uns, so oft wie möglich zu schreiben und, wenn es wieder möglich war, uns zu treffen, dann sollte uns auch nichts davon abhalten.
Zu einem Treffen kam es leider nie, unsere Briefverbindung riss ab, ich schrieb mehrere Briefe, aber es kam nie mehr eine Antwort. Später versuchte ich es über das Rote Kreuz. In ihrem Brief hatte Gisela erwähnt, dass ihr Bruder nach dem Zusammenbruch Bürgermeister in Saßnitz wurde, auch dort versuchte ich, etwas über die Familie zu erfahren. Alles ohne Erfolg. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, meine Freundin wiederzusehen.
Kurz bevor ich begann, die Vorlesungen an der Uni zu besuchen, wurde Dr. Auler das Datum der Heimkehr seines Sohnes August Wilhelm mitgeteilt. Er wurde bis vor die Haustüre transportiert, und als der alte Herr den Transporter die Auffahrt passieren sah, ging er nach unten, um seinen Sohn an der Haustüre zu begrüßen.
Rosa, die Haushaltshilfe, und ich blieben oben in der kleinen Küche. Wir hatten ein Essen zubereitet, den Tisch in dem kleinen Zimmer schön für Vater und Sohn gedeckt und uns abgesprochen, dass Rosa und ich so wenig wie möglich stören sollten.
Als August die Treppe hinter seinem Vater heraufkam, hörte ich ihn sagen, »na, hier hat sich aber einiges zum Nachteil verändert.«
»Damit müssen wir leben, mein Sohn, viele Menschen haben alles verloren, sogar ihr Leben. Aber wir leben wenigstens noch«, meinte der Vater zu seinem heimgekehrten Sohn. Von Fotos kannte ich den Sohn ja schon, aber als ich ihn begrüßte, musste ich doch feststellen, dass Krieg und Gefangenschaft ihre Spuren hinterlassen hatten. Das Gesicht war weiß und aufgedunsen, die großen blauen Augen lagen tief in den Höhlen. Der Körper war abgemagert, der Bauch dagegen dick. Zuvor hatte ich mir viele Gedanken darüber gemacht, ob es uns bei der immer noch mangelhaften Versorgung mit Lebensmitteln möglich sein würde, der Unterernährung und der eventuell krankhaften Ansammlung von Gewebsflüssigkeit Herr zu werden. Nach ein paar Tagen schlug ich dem alten Herrn vor, Dr. Brühne zu bitten, seinen Sohn zu untersuchen. Er würde die nötigen Medikamente verordnen und uns Anweisungen geben, was wir für seinen Sohn tun könnten. Dr. Brühne sagte sich für das kommende Wochenende an. Es sei sein freies Wochenende, so könne er über diese Tage verfügen. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass eine Kontrolle auch bei mir fällig sei, es wäre angebracht, wenn ich mit ihm zurückfahren würde, um am Wochenanfang im Krankenhaus geröntgt zu werden. Hilfe war ja genug da, Rosa war anwesend und Frau Keller würde sich mehr einsetzen. Für die Ankunft von Dr. Brühne wollte ich ein schönes Essen zubereiten. Er
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