Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
gefesselt. Ich sagte Herrn Dietschi sofort zu, er meinte dann so nebenbei, wenn ich kommende Saison doch wieder im Hotel arbeite, könnte doch alles nahtlos verlaufen. Meine Diätkenntnisse würden für die alte Dame von Nutzen sein, auch für das Kurhotel werde er in der kommenden Saison Diätspeisen anbieten.
So war mein Arbeitsplatz zunächst für das kommende Jahr sicher. Täglich passierte ich die Grenze, hin und wieder wurde auch ich, wie es bei den Grenzgängern so schön hieß, gefilzt, es kam auch vor, dass eine Frau anwesend war und wir Frauen bis auf den Grund unter die Lupe genommen wurden. Jedes Quartal war Antreten bei der Fremdenpolizei angesagt oder diese kam an den Arbeitsplatz, um nachzufragen, ob man sich nichts zuschulden kommen ließ. Obwohl die Zeiten eigentlich vorüber waren, so musste ich doch an den Krieg denken. In den Wintermonaten hatte ich Gelegenheit, einen Kurzlehrgang für Diätassistenten zu besuchen, diesen setzte ich fort, ehe im April die Saison begann. So absolvierte ich den Teil einer Ausbildung, den ich geeignet für mich hielt. Für den Herbst war ein Lehrgang in Wissensvermittlung und Beratung vorgesehen. Das machte mich noch selbstsicherer, ich hatte ein Ziel, ein Thema gewählt, das immer wieder aufgefrischt und neu aufgebaut werden musste. Medizinische Kenntnisse wurden vermittelt, ohne mit Blut in Berührung zu kommen. Eine neue Türe zur Welt schien sich für mich nun zu öffnen.
An einem Wochenende wartete ich auf August vergebens. Zweimal machte ich zu Fuß den weiten Weg zum Bahnhof – vergebens. Telefonisch ging überhaupt nichts, zu Hause hatten wir keinen Telefonanschluss, es blieb also nur abzuwarten, was der Grund seines Wegbleibens war. Im Laufe der Woche kam kurz, fast einer Notiz gleich, die Entschuldigung: ›Ich war versackt.‹
In den vergangenen Wochen beklagte August ständig, dass er, aus bester Familie und mit einer guten Ausbildung, keine anständige Arbeit angeboten bekäme. Dies sei alles so entwürdigend und mache ihn langsam mürbe. In einem Gespräch versuchte ich ihm zu erklären, dass viele Menschen aus der Bahn geworfen wurden und nun wieder versuchten, irgendwie Fuß zu fassen. Er solle einfach noch Geduld haben, es brauchte eben seine Zeit. So aber stand er eines Tages vor unserer Haustüre, den Koffer in der Hand, und bat, bleiben zu dürfen. Meine kleine Schwester bekam ihr Bett im Schlafzimmer der Eltern aufgestellt, August schlief nun in meinem Zimmer, sprich, dem Zimmer von Andrea und mir. Ich blieb bei Tante Nina, mit ihr konnte ich immer über all meine Sorgen reden. Wie sollte es nun weitergehen? August beantragte Arbeitslosengeld. Ich bat ihn eindringlich, sich ein Zimmer zu suchen und vor allem irgendeine Arbeit, bis sich das fand, was für ihn, wie er so nebenbei erwähnte, standesgemäß war. Er fand zum Glück ein Zimmer in der Siedlung, die 1933 mit viel SA- Getöse eingeweiht worden war.
Die Saison hatte wieder begonnen, ich war von früh bis spät im Hotel, für ein tägliches Treffen fehlte mir einfach die Zeit. Mutter kochte für August mit, die Miete für sein Zimmer übernahm ich, bis er wieder selbst verdiente. Tagsüber, so sagte meine Mutter mir, sei August mit meinem Fahrrad viel unterwegs, wahrscheinlich auf Arbeitsuche, allerdings kam er auch oft erst spät am Abend zurück.
Ganz zufällig kam ich darauf, wo August sich tagsüber so gerne aufhielt, nämlich in einer kleinen Eckkneipe nahe der Schweizer Grenze. Die Bedienung dieser Bierkneipe war ausgerechnet die Tochter des gefürchteten Polizisten, Jugendschreck genannt, der es für mich in die Wege geleitet hatte, dass ich mit der Familie Weiler nach Sachsen übersiedeln konnte. Sie hatte an dem gut aussehenden Auler junior Gefallen gefunden. Sie unternahmen an Pias freiem Wochentag Radtouren, an den übrigen Wochentagen saß er bei ihr bis zum Abend in der Kneipe. Scheinbar unterstützte sie Augusts Bedürfnisse nach alkoholischen Getränken. Oft sah ich August auch nicht, wenn ich ein freies Wochenende hatte, dann war sein Denken in weite Ferne gerichtet. Er hatte plötzlich Pläne, wie man viel Geld verdienen konnte, wenn, wenn … , nur mit der Realität konnte er nichts anfangen. Wie konnte ich nur so lange nachsichtig sein, obwohl er oft betrunken ankam? Mit seiner gehauchten Entschuldigung, seinem Lächeln, wenn er so vor mir stand, gab er erneut das Versprechen, dass alles gut würde. Dann begann alles wieder von vorne mit Versöhnung, Hingabe,
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