Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
das!«, Dr. Auler kämpfte schon mit dem Schlaf, und als ich hinausging, war er schon eingeschlafen.
Die Familie Keller war schockiert, als sie von dem Geschehenen hörte. Sie boten August an, über Nacht bei ihnen zu bleiben. Kellers hatten einen Telefonanschluss, so hatte August die Möglichkeit, nach Freiburg zu telefonieren. Er hatte sich bei einer älteren Dame ein möbliertes Zimmer angesehen, wollte ihr aber erst noch Bescheid geben, ob er Interesse hatte. Zum Glück war es noch nicht vergeben.
So fuhr er am anderen Morgen nach Freiburg, wo er auch in einem Büro vorübergehend Beschäftigung fand. Er schrieb mir fast täglich einen Brief, Herr Keller war der Postzusteller und Frau Keller brachte mir dann die Briefe ins Haus, so war alles unauffällig.
Mit dem alten Herrn vereinbarte ich, da ich zuvor nie einen bestimmten freien Tag genommen hatte, dafür aber mal für zwei bis drei Tage nach Hause fuhr, dass ich ab jetzt regelmäßig jedes zweite Wochenende, also Samstag und Sonntag, für mich beanspruchte.
Außerdem versuchte ich ihm zu erklären, dass ich hoffte, bis Ende des Sommers eine Hilfe für ihn zu finden, denn ich wollte nun gerne etwas unternehmen mit dem Ziel, mich für einen Beruf zu spezialisieren. Darauf folgte ein langes Schweigen.
»Das hat er nun auch noch erreicht«, meinte Auler. Wer was erreicht habe, fragte ich.
»Na, wer schon, August hat nun erreicht, dass er mir auf meine alten Tage meine einzige Stütze und Vertraute wegnimmt.«
»Das ist aber nicht ganz richtig«, gab ich zu bedenken, »von Anfang an war es nicht meine Absicht, für immer auf dem Berg zu bleiben. Dass es dennoch fast vier Jahre dauerte, lag daran, dass ich sehr gerne hier war, ich fühlte mich geborgen. Du hast mir in meiner schweren Zeit, als mich die Erinnerungen an die Kriegsereignisse wieder einholten, beigestanden. Gemeinsam haben wir in den Jahren Hunger, Kälte und Krankheit gemeistert. Scheinbar war diese Abgeschiedenheit für uns wie geschaffen, nachdem du nicht mehr reisen konntest und die Besucher immer seltener wurden. Nun muss ich aber zusehen, mein Leben selbst zu packen und für mich, wenn es nötig sein sollte, alleine zu sorgen.«
»Ich verstehe dich sehr gut, Mutter (er nannte mich plötzlich wieder Mutter), aber für mich wird es sehr schwer werden«, meinte der alte Herr. »Wäre ich nicht so alt und du nicht so herrlich jung, würde ich dich sofort heiraten. Aber so würde alle Welt spekulieren und Gründe genug finden, z.B. dass du sicher versorgt sein möchtest, ich aber eine Pflegerin hätte. Diese Vorstellung würde bestimmt auch deinen Beifall nicht finden, oder?« »Nein, nein, ganz gewiss nicht«, sagte ich völlig überrascht, »gibt es überhaupt noch eine Welt hinter dem Berg? Das alles muss ich erst einmal herausfinden, dann werde ich für mich einen Weg suchen und ihn vielleicht auch finden. Das Suchen ist oft wichtiger als das Finden. Das Suchen weckt Hoffnung, macht neugierig, ist spannend, das Finden kann enttäuschend und sehr schmerzlich sein. Aber danken möchte ich dir von ganzem Herzen, alter Herr, für deine Worte, für mich ist es ein sehr schönes Kompliment, wie ich finde, darauf bin ich ganz stolz, immer werde ich daran denken. DANKE.«
Das Suchen hatte begonnen. Im Rhythmus, jedes zweite Wochenende, fuhr ich nach Freiburg, traf mich mit August und war voller Hoffnung, dass das Leben auch für mich Schönes bereithielt.
Die Vermieterin gestattete, dass wir uns in Augusts Zimmer aufhielten. Sie bot sich an, an den gemeinsamen Wochenenden zu kochen, so aßen wir zu dritt. Es kam auch vor, dass wir drei ein Kino besuchten oder den Samstagabend mit Frau Rauch zusammen verbrachten. Anfang Juli 1949 verließ ich das Auler-Haus. Der Abschied von dem alten Herrn tat mir weh, doch die Gewissheit, dass er auch weiterhin wie gewohnt versorgt wurde, machte alles ein wenig leichter. Eine jüngere Kriegerwitwe hatte sich beworben, sie wurde für gut befunden, und Frau Keller würde auch ihr zur Seite stehen. Lumpi, der kleine Zwergschnauzer, war seit Tagen sehr bedrückt, er spürte die Veränderung, nur kurz ging er aus dem Haus, dann legte er sich wieder in seinen Sessel, den Kopf auf den Vorderpfoten, und beobachtete jede Bewegung von mir. Er würde mir sehr fehlen.
Zunächst fuhr ich zu meinen Angehörigen. Meine Überlegung war, dass ich, nachdem die Grenze zur Schweiz wieder offen war, als Grenzgängerin vielleicht eine Arbeit fände. Als Arbeitskraft waren wir
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