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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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Seit Jahren unterrichtete sie die damals sogenannten höheren Töchter, vor dem Krieg waren es Töchter von Adel, meist aus Ostpreußen.
    Ihr Mann war Ingenieur bei einem Chemiekonzern in unserem Städtchen. Die Ehe war viele Jahre kinderlos, erst mit fast 40 Jahren bekam Frau Weiler noch ihren Sohn Helmut. Ein blonder Junge, sehr lebhaft, der seine Mutter Else oft überforderte.
    Herr Weiler wurde zu Anfang des Krieges nach Niederau versetzt, dort war er in den Rütgers Werken tätig. Was er dort machte? Es durfte scheinbar nicht darüber gesprochen werden. Seine Frau Else und Sohn Helmut, der gerade drei Jahre alt war, sollten zum Jahresende 1940 folgen. Bis dahin konnten sie über die für sie vorgesehene Wohnung am Werksgelände verfügen. Die jetzige Auszubildende stammte aus Chemnitz, ihre Eltern hatten dort eine Schuhfabrik und waren auch bekannt mit den Eltern von Herrn Weiler, die ebenfalls in Chemnitz einen Schuhladen betrieben.
    Erna war gerade 21 Jahre alt und hatte ihre zwei Jahre Ausbildung bei Frau Weiler beendet. Nun wurde nach einer neuen Anwärterin gesucht. Die Übersiedlung nach Sachsen stand dabei im Vordergrund. Frau Weiler war sich dessen schon bewusst, dass sie ohne Lehrling beim Umziehen keine Hilfe hatte, und auch das Abwaschen und Putzen kämen auf sie zu.

    So geschah es, dass Herr Schott Gertrud bei Familie Weiler unterbrachte und Gertrud die Haushaltslehre absolvieren sollte. Ihre Brüder Markus und Michael kamen in ein Heim. Gertruds Vater Alfons meldete sich für die Rüstungsindustrie nach Ludwigshafen, damit wurde er vom Militärdienst befreit. Cousine Martha musste sich eine andere Bleibe suchen, denn Herr Schott vermietete die Wohnung von Gertruds Eltern. Es war wohl auch so gedacht, das Alfons keine Ansprüche an das Haus stellen konnte. Die Wohnung wurde an eine junge Frau vermietet, deren Mann schon zu Anfang des Krieges gefallen war. Sie hatte einen Jungen von drei Jahren, er hieß Markus. Frau Graß war sehr umgänglich und offen und freundete sich schnell mit meiner Mutter an.
    Seit Gertrud nicht mehr im Haus lebte, fühlte ich mich recht verlassen. Sie war schon die sechste Woche bei Frau Weiler, und ich hatte bisher noch keine Gelegenheit gehabt, sie zu treffen oder zu sprechen. Die rasche Veränderung ließ mich ahnen, dass ein ganzer Lebensabschnitt beendet war. Jedenfalls fehlte Gertrud mir sehr. Meine Mutter hatte sich dem kleinen Markus verschrieben. Sie nahm ihn zu den Einkäufen mit, passte auf ihn auf, wenn Frau Graß etwas zu erledigen hatte, auch sonst war er viel bei uns in der Wohnung. Mutter machte mit ihm all das, was ich als Kind vermissen musste. Oft war ich sehr traurig und weinte heimlich, auch dann, wenn sie Kurt in den Arm nahm und ihn mal küsste. Sicher spürte sie meine Eifersucht oder war es einfach nur Traurigkeit? Traurigkeit, weil ich von meiner Mutter einfach auch ein bisschen geliebt werden wollte. Als ich wieder einmal weinte und es nicht verbergen konnte, fragte sie mich nach dem Grund. Da sie der Meinung war, ich hatte auf keinen Fall einen, war sie doch sehr erstaunt, als ich ihr vorwarf, dass sie mich nie in den Arm nahm und drückte. Ganz empört antwortete sie:
    »Aber, hör mal, wir sind doch nicht schwul.« Lange studierte ich an dem Wort herum, was konnte sie damit gemeint haben? Bei passender Gelegenheit fragte ich Tante Hilda, die regelmäßig die Großeltern besuchte, ganz leise, als wir einen Moment alleine waren.
    »Tante Hilda, sag’ mir bitte, was ist schwul?«
    »Um Gottes willen«, erschrak sie, »wo hast du dieses Wort aufgeschnappt?« Ich sagte ihr, dass ich es in der Schulpause gehört hätte, als sich die Jungs unterhielten. Sie bat mich dringend, das nicht weiterzusagen. Solche Menschen würden abgeholt und in ein KZ gebracht. Ich blieb mit einem Kloß im Hals und einer Kehle, wie zugeschnürt vor Angst, zurück, ohne zu wissen, was dieses Wort für eine Bedeutung hatte. Nur eines wusste ich, meine Mutter konnte mich nicht lieb haben. So sehr ich es auch versuchte, ihr eine Freude zu machen, es misslang fast immer.

4

    Mein Taschengeld sparte ich oft, so kaufte ich ihr beispielsweise einmal ein Kaffeeservice für zwei Personen, buk einen Kuchen dazu und wartete voller Ungeduld, bis sie vom Tablettenverpacken nach Hause kam. Von Freude war nicht sehr viel zu spüren, sie trank ihren Kaffee und meinte so beiläufig: »Im Stillen hatte ich ja gehofft, du hättest wenigstens die Treppe sauber gemacht.« Konnte eine

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