Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
meiner Freizeit machen und dir viele Briefe schreiben. In den zwei Jahren werde ich euch sicher zwei bis drei Mal besuchen können, wie schnell wird die Zeit vergehen, und dann sehen wir weiter.« Großvater schwieg, was dachte er wohl? In seinen Augen las ich Zustimmung, hatte er doch neulich erst mit dem zweiten Schwiegersohn eine Debatte, als dieser mich tadelte und fragte, was ich schon wieder hier zu suchen hätte. Großvater folgte ihm in den Garten, ich hörte ihn lautstark sagen:
»Noch bin ich der Herr im Hause und das bleibe ich, solange ich lebe. Diese meine Enkelin hat hier ihr Zuhause und kann ein- und ausgehen, wann immer sie will.« Mein Großvater, er war mein bester Freund, er und Großmutter wollten stets nur das Beste für mich, ich fühlte immer, dass sie mich liebten. Sie würden mir fehlen, gar keine Frage, und ich würde auch Heimweh bekommen, vielleicht müsste ich oft weinen, weil sie für mich nicht mehr so schnell erreichbar waren.
Aber es würde mich sicher auch keiner mehr ›Bastard‹ nennen. Es würde keiner der Onkel in brauner Uniform neben mir stehen und, wenn ich einmal nicht alles essen wollte, zu mir sagen:
»Na, du Nichtsnutz wirst schon nicht an dem Essen ersticken.« All dies, dachte ich, bliebe mir erspart, wenn ich erst einmal weit weg wäre. Vielleicht war meine Mutter gar nicht abgeneigt, mich gehen zu lassen, ich fühlte mich in ihrer Nähe jedenfalls nie geborgen. Das Loslassen fiel meinen Großeltern schon schwerer. Es war wohl für beide Seiten ein schwieriger Prozess, das völlige Abnabeln würde bestimmt nicht möglich sein, aber man musste damit leben. Ich konnte mich nicht ewig in die Obhut der Eltern oder, in meinem Fall, der Großeltern flüchten. Sie hatten für mich immer nur das Beste gewollt und taten es im Rahmen ihrer Möglichkeiten immer noch. Was immer kommen mochte, meine Großeltern waren für mich die wichtigsten Menschen auf der Welt, solange sie lebten. Ich bin ihnen auch heute noch, und solange ich lebe, dankbar für ihre Liebe. Dankbar dafür, dass ich eine glückliche Kindheit hatte. Selbst in der Fremde spürte ich immer ihre Nähe und oft hatte ich beim Einschlafen das Gefühl, dass Oma oder Opa neben meinem Bett standen und mich zudeckten.
Der Tag kam, an dem Herr Schott nun die Antwort haben wollte. Er kam am letzten Wochenende im Oktober 1940, zusammen mit Frau Weiler und ihrem kleinen Helmut. Dieser sollte mich vorab schon einmal gesehen und begutachtet haben, schließlich, so meinte Frau Weiler, würde der Kleine mir ja zeitweise anvertraut werden. Mutter hatte mich bisher noch nicht wissen lassen, wie sie sich entschieden hatte, deshalb war ich in der Angelegenheit unsicher und ängstlich, ob es überhaupt klappte. Als Erstes musste Klein Helmut mir Guten Tag sagen. Er sah mich erst etwas unsicher und ohne Interesse an. An seine Mutter gerichtet, fragte er dann, wie ich heiße. Frau Weiler antwortete:
»Dann frag doch einfach einmal selbst.« Prompt kam die Frage an mich: »Wie heißt du eigentlich?« Ich nannte meinen Vornamen.
»Ulla gefällt mir«, sagte Klein Helmut, »spielst du auch mit mir?«
»Bestimmt werde ich das, wenn du es willst.« Er nahm meine Hand und bestand darauf, dass ich ihm mein Zimmer zeigte. Er war wohl enttäuscht, weil es bei mir nur Puppen gab und keine Bauklötze oder eine Eisenbahn. »Das hast du doch bestimmt selbst«, sagte ich zu ihm. »Dann spielen wir eben mit deinen Spielsachen.« Das schien für ihn in Ordnung zu sein und er gab sich damit zufrieden. Wir gingen zurück zu den anderen, da sah mich meine Mutter an und erklärte, sie habe soeben ihre Zustimmung gegeben. »Deine Großeltern sind der Meinung, wenn du es möchtest und mit Familie Weiler nach Niederau umziehen willst, dann sollten wir es akzeptieren.«
Im ersten Moment konnte ich nicht antworten. Alle sahen mich erstaunt an, und prompt kam die Frage meiner Mutter:
»Hast du es dir inzwischen anders überlegt?«
»Nein«, sagte ich, »auf keinen Fall. Ich möchte gerne die Lehre bei Frau Weiler machen, verbunden mit dem Ortswechsel nach Niederau. Ich hatte nur Bedenken, ob es sich verwirklichen lässt.« Tränen traten in meine Augen, ich gab mir einen heftigen Ruck, sie hinunterzuschlucken, auf keinen Fall wollte ich den Eindruck erwecken, als hätte ich doch keine Lust dazu. In Wahrheit waren es Tränen der Freude. Bei meiner Mutter bedankte ich mich und sagte ihr, dass ich ihr bestimmt keine Sorgen bereiten würde. Ich bedankte
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