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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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ich mit Geschwistern groß geworden, hätte erlebt, wie es ist, statt Großvater ›Vater‹ zu sagen, wäre nicht dazu aufgefordert worden, meine Mutter Mariechen zu nennen wie jemanden, der eben gerade mal so zur Familie gehörte.
    Im Grunde wusste ich von meinem Vater sehr wenig. Wenn meine Klassenkameradinnen nach ihm fragten, so schilderte ich ihn, wie ich ihn mir heimlich als Kind gewünscht hatte. Ich erzählte, dass er in einem Rüstungsbetrieb in Hamburg als Betriebsleiter tätig sei, was ja auch der Wahrheit entsprach. Die wirkliche Familiengeschichte erzählte ich Außenstehenden nie. Je älter ich wurde, desto mehr litt ich unter der erzwungenen Geheimniskrämerei.
    Wenn ich über meine Kindheit nachdenke, stelle ich mir immer wieder vor, wie ich die Ferien auf dem Hof von Großmutters Eltern verbringe, der vom Halbbruder Leo und Sohn Heinrich geführt wurde. Wie schön doch das Leben auf so einem großen Hof war, für mich jedenfalls. Es gab viele Kühe, Schweine, Enten und Gänse, Pferde für die Feldarbeit, zwei Reitpferde für Onkel Leo und Sohn Heiner. Da waren vier Katzen und der Schäferhund Braxas, doch diesem war ich nicht gewachsen. Wenn er mich begrüßte, stellte er sich auf seine Hinterbeine, die Vorderpfoten auf meinen schmalen Schultern und ließ dabei seine Zunge über mein Gesicht gleiten. Sicher muss er gespürt haben, dass bei mir der Angstschweiß ausgebrochen ist, aber er mochte mich trotzdem. In der Wohnstube stand ein riesengroßer Kachelofen mit Sitzbank, eine wohlige Ecke, die ich im Herbst besonders liebte. Ich saß dort eingekuschelt in der Ecke, meist eine Katze schnurrend auf meinem Schoß. Heinrich mochte mich, er nahm mich mit, wenn er auf den Feldern die Runde machte und neue Anweisungen gab. Meist fuhren wir mit einem kleinen Wagen, ein Pferd davor gespannt, Heiner erklärte mir immer alles genau, und ich war eine gute Zuhörerin. Auch Heiners Mutter, Tante Melanie, war sehr lieb und aufmerksam.
    Während einer dieser Aufenthalte auf dem Hof von Großmutters Eltern muss in mir die Vorstellung gewachsen sein, dass ich, wenn ich erwachsen war, auf solch einem großen Hof leben wollte. Kochen für die Landarbeiter, Brot und schöne Blechkuchen backen, das Essen auf das Feld bringen, mit den Landarbeitern während der Mittagszeit Gespräche führen und ihnen, wenn nötig, Hilfe anbieten. Selbstverständlich wünschte ich mir vier bis fünf Kinder, für sie einen lieben, verständnisvollen Vater, für mich einen lieben Ehemann. Wieder einmal waren Heiner und ich unterwegs, als ich ihm nach einem harten inneren Kampf spontan die Frage stellte:
    »Heiner, würdest du mich später einmal heiraten?« Etwas überrascht schaute er mich an, dann antwortete er mit einem Grinsen im Gesicht:
    »Du bist ein ganz hübsches und liebes Mädchen, sicher wärst du eine gute Bäuerin, aber die Sache hat einen Haken: Bis zu deiner Volljährigkeit dauert es noch ein paar Jährchen. Ob du dann noch den Wunsch hast, eine Bäuerin zu sein, bleibt abzuwarten. Aber, weißt du was, jetzt musst du erst mal erwachsen werden. Wenn du dann noch Lust hast, als Bäuerin auf dem Land zu leben, dann reden wir noch mal über alles.«
    Damit war ich einverstanden, und Heiner blieb mir bestimmt bis dahin ein guter Freund. All diese Erinnerungen ließen manchmal Zweifel in mir aufkommen, ob es richtig war, von allem so weit entfernt zu sein. Der Besuch bei Hedy und Max munterte mich jedoch wieder auf.

    Hedy hatte mit der Schulleitung gesprochen. Sollte ich Ende September nicht von dem Vertrag mit Else entbunden werden, könnte ich ab April des nächsten Jahres mit dem Unterricht in Dresden beginnen. Bis dahin war ich auf alle Fälle freigestellt und es stand der Sache nichts mehr im Wege.
    Hedy zeigte mir den Schrank in meinem künftigen Kämmerlein, wo ich schon einiges abstellen konnte. Sie luden Helmut und mich für das kommende Wochenende ein und meinten, wir könnten auch bei ihnen schlafen. Aber das wollte ich nicht. Helmut sollte in seinem Bettchen schlafen, und die Wohnung wollte ich nicht über Nacht ohne Aufsicht lassen. Gerne würden wir am Nachmittag kommen, am Vormittag wollte ich noch etwas für die Schule tun. Das Wochenende verging wie im Fluge.
    Am späten Sonntagabend kam Bruno zurück, er machte einen etwas müden oder bedrückten Eindruck, für mich war das schwer einzuschätzen. Nachdem er etwas gegessen hatte, meinte er, dass er noch in den Betrieb müsse, ich solle nicht auf ihn warten.

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