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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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gehst? Du kannst dir Zeit lassen. Du kommst morgen mal vorbei, wir bereiten das Essen vor, dann gehst du wieder zu ihnen und bleibst, wenn sie es möchten, bis Sonntagabend. Am Montag früh, wenn ich Helmut in den Kindergarten bringe, werde ich Deschers einen Besuch abstatten.« Ihr Angebot überraschte mich zwar, aber ich war ihr sehr dankbar dafür. Für alles, was Deschers bisher für mich getan hatten, fühlte ich mich ihnen verbunden, und vielleicht könnte ihnen meine Anwesenheit tatsächlich ein bisschen helfen. Ich wünschte es mir so sehr, obwohl es für mich nicht leicht war, den Weg in das Trauerhaus zurückzugehen. Im Grunde wusste ich gar nicht, wie ich mit den beiden umgehen und wie ich mich verhalten sollte. Ich musste es einfach darauf ankommen lassen.

    Als ich zurückkam, saßen die beiden in Hedys Nähzimmer, einem kleinen Raum, der im Winter aus Spargründen als Wohnzimmer genutzt wurde. Hedy saß auf dem Sofa, die Hände gefaltet, Max hatte den kleinen Tisch gedeckt und Tee gekocht. Außer Tee wurde nichts angerührt, wir schwiegen einfach. Nach einer langen Weile fragte Hedy, wann ich wieder zurück müsse, Max solle mich dann begleiten. Etwas unsicher sagte ich:
    »Wenn du möchtest, bleibe ich heute Nacht bei euch, am Sonntag könnte ich den ganzen Tag bei euch sein, wenn ihr es wollt.«
    »Das ist gut, mein Mädel«, sagte Hedy, »es ist gut, dass du hier bist.« Max gab mir Bettwäsche, ich bezog das Bett in einer kleinen Kammer, die hin und wieder als Gästezimmer diente. Das Bett in Erichs Zimmer sollte nicht benutzt werden, das hätte ich ohnehin nicht gewollt.
    Hedy hatte einen riesigen Strauß Blumen aus ihrem Garten auf Erichs Bett gelegt, sie zündete eine dicke Kerze an, wir stellten uns mit gefalteten Händen davor und Hedy sprach:
    »Siehe, ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten. Eine größere Liebe kann niemand geben denn die, dass er sein Leben lässt für seinen Bruder.«
    Hedy war auf einmal gefasst, sie verzog keine Miene, ihre Augen, so schien es mir, waren einfach in die Ferne gerichtet, als spiele sich alles Weitere dort ab. Sie sprach kein Wort mit uns, sie schien völlig abwesend. Es bedrückte mich alles ungemein. Was für einen inneren Kampf führten die beiden! Jeder für sich. Max sah mich hilflos mit verschleierten Augen an. Er war um Jahre gealtert, aber bemüht, Hedy eine Stütze zu sein, dabei hätte er genauso Trost gebraucht. Hedy hantierte mechanisch, sie sprach kein Wort dabei. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie nun alles und alle für ihre Trauer verantwortlich machte. Weder Max noch mich ließ sie an sich heran, man fand einfach keine Worte des Trostes. Mich beschlich eine Beklemmung, die mir die Kehle zuschnürte. Angst, ein Wort zu sagen, das nicht tröstete, sondern noch mehr kränkte. Der Verlust des eigenen Kindes ist sicher der schwierigste Prozess auf der Welt. Ein völliges Abnabeln ist nur selten möglich, ob tot oder lebendig. Kann man sich überhaupt jemals mit einem solchen Verlust abfinden? Allein, um das Geschehene zu begreifen, ist unendlich viel Kraft nötig. Aber da war auch Max – es war sein Sohn, den er verloren hatte, den er sehr liebte und auf den er stolz war. Er hatte fest gehofft, dass er nach Kriegsende gesund wieder zurückkäme. Er hatte mir erzählt, wenn Erich wieder da wäre und sein Großvater vielleicht nicht mehr im Hause lebte, dann wolle er mit Erich das erste Stockwerk ausbauen. Der Junge hatte es sich so gewünscht und gehofft, eine Familie zu haben. Hedy musste scheinbar erst begreifen, dass Max der Vater war, der seinen Sohn verloren hatte, dass er es war, der Trost und Halt brauchte und suchte. Sie baute eine dicke Mauer um sich, ließ keinen drüber schauen und niemanden hindurch. Diese Wand einreißen konnte nur sie selbst, helfen würden Max und ich dabei gerne.

    Der Sonntag war für uns alle sehr anstrengend. Für Max und Hedy musste die Grenze der Belastbarkeit längst erreicht sein. Es hatte sich sehr schnell herumgesprochen, dass Erich gefallen war. Viele der Dorfbewohner kamen im Laufe des Tages, um zu kondolieren. Ich hatte große Angst um die beiden, vor allem um Max. Er wirkte so verloren. Meist sprachen die Besucher mit Hedy, sie brachten kleine Geschenke mit und einige Lebensmittel. Max und ich saßen auf dem Sofa und hörten stumm den Gesprächen zu. Er hielt meine Hand, sein Zittern war zu spüren. Beim Verabschieden kam von einigen

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