Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Angehörigen nach Chemnitz reisen wolle. Er käme sonst nicht dazu und wer wusste schon, wann er sie sonst wieder einmal sehen würde. Die Sache hatte aber einen Haken: seine Frau sollte davon nichts erfahren, sie wäre sicher nicht von seiner Absicht begeistert, gerade jetzt, wo sie auch nicht zu Hause sei. Darauf sagte ich ihm, von mir werde sie nichts erfahren, aber sollte sie es herausbekommen, würde ich für ihn bestimmt nicht lügen. Dann müsste er schon selbst sehen, wie er es seiner Frau klarmachte. Er versprach es, so war ich der Sache entbunden, wenngleich ich von seiner Reise nach Chemnitz nicht überzeugt war. Warum, weiß ich selbst nicht. Mir fiel dabei plötzlich wieder das Einschreiben ein.
Mein Zimmer konnte ich nicht abschließen, bisher hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, aber jetzt, seit Elses Abwesenheit, kam Bruno morgens an mein Bett, um mich zu wecken. Mal kam er früher, mal später, er meinte, ich solle einfach so lange schlafen, bis er mich wecken würde, ich könne mich darauf verlassen. Dies gefiel mir gar nicht, so versuchte ich, wenn möglich, vor ihm aufzustehen, um als Erste im Bad zu sein. Wenn er mich hörte, stand er einfach unter der Tür und wollte sich rasieren. In dieser Siruation fragte ich mich: wo ist eigentlich der Schlüssel?
Während Elses Abwesenheit brachte ich Helmut nicht in den Kindergarten. Ich nutzte nun die Gelegenheit, den Ausflug am Nachmittag zu Hedy und Max etwas auszudehnen. Es mussten Elses Aufträge ausgeführt werden: da gab es einiges zu bügeln, auch sollten nacheinander die Teppiche geklopft werden, nicht zuletzt wollten Bruno und Helmut versorgt sein. Ich hatte also genügend Aufgaben, die mich voll auslasteten.
Am Donnerstagabend bat mich Bruno, ich solle für ihn Badewasser einlassen. Er wolle morgen, am Freitag, nach dem Mittagessen, wie besprochen, losfahren, damit sich die Fahrt auch lohne. Seine Sachen habe er gepackt. Das wunderte mich, bisher hatte er sein Wasser immer selbst einlaufen lassen. Lediglich für Else war es meine Aufgabe. Auch die Haare musste ich ihr jeden Morgen kämmen und aufstecken, klappte es mal nicht so, wie sie es wollte, wurde neu probiert, gekämmt und aufgesteckt, bis sie sich schließlich meckernd zufriedengab.
Ich war so in Gedanken, dass ich nicht merkte, wie Bruno im Bademantel hereinkam, ihn auszog und sich neben mich stellte, als ich gerade mit einer Hand die Wassertemperatur prüfte. Als ich ihn bemerkte, riss ich meinen Mund vor Schreck weit auf.
»Na«, meinte er, »warum erschreckst du dich denn so? Du bist doch erwachsen.« Nun, so erwachsen war ich dann doch nicht. In Panik rannte ich aus dem Badezimmer und suchte Schutz bei Helmut.
In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Bei dem kleinsten Geräusch schreckte ich auf und bekam Angst, weil ich glaubte, es sei jemand in meinem Zimmer. Was war ich froh, als Bruno am Freitagmorgen mit dem Koffer in der Hand aus dem Haus ging. Beim Weggehen erklärte er mir noch, er würde nach Weinböhla fahren, von dort mit der Straßenbahn weiter bis zum Hauptbahnhof und dann mit dem Zug direkt nach Chemnitz. Helmut schlief an diesem Morgen sehr lange. Ich ließ ihn gewähren, bügelte eifrig Wäsche und beschloss dabei, für uns beide einen Zwiebackbrei mit Kompott zu machen, den Helmut sehr gerne aß. So gewann ich Zeit und bereitete nun Helmut darauf vor, dass wir am Nachmittag zu Tante Hedy und Onkel Max gehen würden. Dort bekämen wir bestimmt, bevor wir wieder nach Hause gingen, etwas Gutes zu essen. Bei der Gelegenheit konnte ich einen kleinen Koffer, den ich schon gepackt hatte, mitnehmen. Es waren Kleinigkeiten, die ich nicht mehr brauchte. Helmut wollte den Koffer auf seinem Schoß festhalten. Falls er wissen wollte, was in dem Köfferchen sei, konnte ich ihm erklären, dass Tante Hedy mir ein Kleid umändern wollte.
Meine Psyche war aus dem Gleichgewicht, seit Mutter zu Besuch hier gewesen war. Sie fehlte mir auf einmal, dazu kam die Erkenntnis, dass Vater trotz seiner neuen Familie nicht besonders glücklich war. All das hatte bei mir schmerzhafte Spuren hinterlassen, obwohl ich als Kind gut behütet und geliebt worden war. Ich erlebte nie, dass meine Großeltern sich stritten, sie gingen so liebevoll miteinander um. Wir sieben Mädchen standen im Mittelpunkt. Dafür lebten meine Großeltern. Sicherlich aber wäre innerhalb einer eigenen kleinen Familie manches anders gelaufen. Vielleicht hätte ich mehr Strenge erfahren, vielleicht wäre
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