Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
spüren, dass ihr der Abschied tatsächlich schwerfiel, und auch mir tat das Herz weh. Else brachte Mutter nach Dresden an den Zug. Von Niederau fuhren sie mit dem Personenzug zum Hauptbahnhof, dort stieg Mutter um, und Else brachte es sogar fertig, einen Sitzplatz für Mutter zu organisieren. In Niederau konnte ich noch von meinem Fenster aus winken, danach setzte ich mich auf die Fensterbank und weinte. Helmut versuchte, mich zu trösten, was ihm nach einer Weile auch gelang. Dann kam mir der Gedanke, dass ich ihn auch nicht mehr allzu lange um mich haben würde. Der Kleine war mir inzwischen doch sehr ans Herz gewachsen. Er war wie ein kleiner Bruder, um den ich mich mehr gekümmert hatte als seine Mutter, aber es hatte sich einfach so ergeben.
Am Nachmittag ging ich zu Hedy und Max, um mich abzulenken. Sie meinten in dem Zusammenhang, dass ich langsam anfangen solle, immer ein paar Sachen zu ihnen herüberzubringen, für den Fall, dass es einmal schnell gehen müsse, dann sei schon einiges im Trockenen. War es eine Vorahnung?
Von nun an ging es Schlag auf Schlag. Die Luftangriffe nahmen zu. Aus vielen Städten wurde über Bombardierungen berichtet. So geschah es auch in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 in Hamburg. Innerhalb weniger Minuten wurde die Stadt zur Hölle. Es heulten schwere und mittlere Spreng- und Brandbomben vom Himmel. Besonders schwer getroffen wurde die Innenstadt, es brannte, wo immer man hinschaute. In der Bibel, 1. Buch Moses, heißt es: ›Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel, auf Sodom und Gomorrha und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und alles, was auf dem Lande gewachsen war.‹ Da die britischen Bomber Ähnliches planten, bekam bei ihnen der Angriff auf Hamburg den Decknamen ›Gomorrha‹. Es war verständlich, dass Else in großer Sorge um ihren Onkel und ihre Tante war. Beide kränkelten und waren nicht mehr die Jüngsten. Einige Tage später war auf der Titelseite der Dresdener Zeitung das zerstörte Hamburg zu sehen und inmitten von Verletzten und Ausgebombten: ihr Onkel! Ein großer Artikel beschrieb den unermüdlichen Einsatz eines Arztes und dessen Frau nach dem Angriff. Else brach abwechselnd in Tränen und Jubel aus, nun wusste sie, dass ihre einzigen Angehörigen noch lebten. Stolz machte sich neben der Freude breit, dass ausgerechnet ihr Onkel als Held beschrieben wurde. Wie sie es fertigbrachte, nach endlosen Versuchen eine Verbindung mit ihm zu bekommen, das weiß der Himmel.
Ich wartete und wartete auf ein Lebenszeichen von Vater. Das kam eine Woche später, nur eine Kurzmeldung, aber wenigstens ein Lebenszeichen, dass alles in Ordnung sei. Er würde bald wieder von sich hören lassen.
Nun hatte Else mit sich zu tun und zu organisieren. Sie wollte nach Hamburg zu ihren Angehörigen reisen. Helmutchen sei ja in guten Händen. »Kindchen«, so meinte sie zu mir, »du kommst ja mit allem zurecht.« Vatichen sei ja auch noch da, und so brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Schon am nächsten Mittwoch wollte sie abreisen und auf alle Fälle eine Woche lang dort bleiben. Den Sonntag vor ihrer Abreise nahm ich mir frei. Ich wollte einfach nach Dresden fahren und Kraft tanken für alles, was mir bevorstand. Ende August hatte ich eine Prüfung in der Schule, es gab noch einiges zu üben, was noch nicht so richtig saß. Nur, woher für alles die Zeit nehmen, wenn nicht stehlen?
Am Tag ihrer Abreise kam Else früh um sechs Uhr in mein Zimmer, um sich zu verabschieden. Sie war schon mit einem schwarzen Mantel und Hut fertig gekleidet. Ihre Sorge galt hauptsächlich Bruno, der an der Zimmertür auf sie wartete, um sie nach Dresden zum Zug zu bringen. Sie küsste mich, wie üblich, links und rechts auf die Wangen und meinte, wenn ich jetzt aufstehen würde, könnte Bruno noch frühstücken, und dann hätte ich danach genügend Zeit für Helmutchen. War die Nacht schon sehr kurz, weil ich bis nach Mitternacht gelernt hatte, so hegte ich jetzt die Hoffnung, dass die nächsten Tage ruhiger werden würden. Dies gab mir ein bisschen Aufschwung. Die Adresse von Hamburg hatte Bruno, um Else notfalls eine Nachricht zukommen zu lassen, allerdings nur in wirklich dringenden Fällen.
Am Abend, als Bruno viel später als üblich nach Hause kam, war er gesprächiger als sonst. Während er sein Abendbrot buchstäblich verschlang, verkündete er, dass er am kommenden Wochenende, und das bereits am Freitagabend, zu seinen
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