Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Aufgaben nicht mehr gewachsen!«, fasste ich meine Situation zusammen. Max nahm meinen Kopf in beide Hände und küsste mich auf die Stirn.:
»Du solltest dir keine Sorgen machen. Jetzt musst du erst einmal Kräfte sammeln und gesund werden. So lange bleibst du hier. In der Zwischenzeit regeln wir alles andere. Hedy hat deinem Vater bereits ein Telegramm geschickt, er wird sicher die richtigen Maßnahmen treffen.« Wie angekündigt, kam der Arzt am Sonntagvormittag, er stellte die Diagnose ›totale Erschöpfung‹.
Auf keinen Fall sollte ich zu früh aufstehen, an Hausarbeit war fürs Erste nicht zu denken. In einem ausführlichen Attest legte er seine Diagnose dar. Mit Max und Hedy redete er darüber, wie es nun weitergehen sollte. Hedy entschärfte seine Bedenken, indem sie erklärte, dass ich selbstverständlich bei ihnen bleiben könne. Es sei vorgesehen, dass ich die Schule in Dresden besuchen solle, und in der Zeit würde ich bei ihnen wohnen. Bei Weilers sei für mich in der momentanen Situation nicht die nötige Betreuung garantiert. Außerdem sei mein Vater telegrafisch informiert.
»Wir werden zusammen mit ihm alles regeln«, versprach Hedy.
Nun blieb nur noch eines zu erledigen: Else musste informiert werden, schließlich hätte ich längst zurück sein müssen. Hedy übernahm die Aufgabe, und der Arzt gab ihr den Rat, das Attest zwar vorzulegen, aber dann wieder an sich zu nehmen. Es könnte sein, dass es für andere Zwecke noch gebraucht würde. Meine Bedenken waren groß, als Hedy sich alleine auf den Weg machte und sich sozusagen in die Höhle des Löwen begab. Allein schon der Fußmarsch und dann – wer wusste, wie Else reagierte. Doch Hedy sah mich von der Seite an und lächelte, als sie meine Bedenken beiseite wischte.
»Mädel, du kennst mich noch nicht. Ich habe schon größere Geschosse abgefeuert. Diesen Kampf gewinnen wir. Warte es ab, und lass mich einfach nur machen!« Was täte ich nur ohne die beiden, dies wurde mir erst jetzt so richtig bewusst. Dabei fühlte ich mich entsetzlich elend. Wie viel Einsamkeit und Verlassenheit konnte man ertragen?
Max war unterdessen sehr aktiv. Er kümmerte sich um warmes Wasser, damit ich mich waschen konnte, in der Zwischenzeit fütterte er die Hühner und Enten, bis er wieder ins Haus kam, war ich mit meiner Toilette fertig. Dann sorgte er für Feuer im Küchenherd und schälte Kartoffeln für das Mittagessen. Hedy hatte alles andere schon vorbereitet.
Max und ich stellten uns vor, dass Hedy inzwischen bei Weilers angekommen war und vielleicht schon ein ›Geschoss‹ abgefeuert hatte. Max meinte, sie wisse schon, wie sie es anpacken müsse.
»Sie war immer die Stärkere von uns, bisher hat sie die meisten Hürden erfolgreich genommen, sie schafft auch diese.« Ich konnte mir gut vorstellen, dass Hedy diese Herausforderung brauchte. Gerade jetzt lenkte es sie sicher von den traurigen Ereignissen der jüngsten Vergangenheit ein wenig ab. Auch das Gefühl, gebraucht zu werden, schien ihr den Rücken zu stärken. Max hatte mich wirklich getröstet und etwas aufgerichtet, es ging mir schon besser, seine Gedanken hatten mir Mut gemacht. Hoffnung machte mir auch das Telegramm, das während Hedys Besuch bei Else bei uns eintraf. Sein Wortlaut war: ›Komme im Laufe der Woche, spätestens aber Freitag, Gruß Vater‹.
»Na, siehst du, Mädchen, alle sind um dich besorgt. Egal, was Hedy bei Weilers ausrichten wird, wir schaffen es schon.« Seine Worte rauschten an mir vorbei, ich war viel zu erschöpft, um klar darüber nachdenken zu können, was im Laufe der Woche noch alles auf mich einstürmen könnte. Ich gab mir alle Mühe, mir selbst ein Bild davon zu machen unter dem Titel: was wäre, wenn? Großvater fiel mir plötzlich ein. Wie eine Vision sah ich ihn vor mir, und er sagte: ›Hansli, lass alles an dich herankommen, nie wird es so heiß gegessen, wie gekocht. Entscheide dann, wenn du wieder bei Kräften bist.‹
Ja, genauso machen wir es, Opa, genauso. Mich überkam plötzlich eine Ruhe, die ich nur so beschreiben kann: meine Glieder entspannten sich, ich spürte eine Müdigkeit, es war, als würde sich alles von mir lösen, keine trüben Gedanken quälten mich, als ich die Augen schloss, und es war trotzdem alles so hell um mich. So schlief ich fest ein, schlief ohne Unterbrechung bis gegen Abend.
Danach befand ich mich in einem Dämmerzustand. Ich hörte, wie Hedy sich mit Max unterhielt, verstand aber kein Wort davon. Wahrscheinlich
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