Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
Vom Netzwerk:
die Anmeldung für den 1. Oktober 1943 an der Privatschule in Dresden vorverlegt werden, um zu vermeiden, dass ich dienstverpflichtet würde. So hatten Vater und Hedy doch vieles erreicht, und in etwa zwei Wochen sollte der Bescheid aus Meißen vorliegen. So lange sollte ich bei Max und Hedy bleiben.

    Es war schön, Vater zwei Tage für mich zu haben. Mein Gefühl sagte mir, dass ich mich an ihn gewöhnen könnte. Aber es war ja auch nicht Hamburg, sondern meine eigene gewohnte Umgebung. Dort war er mir fremd, trotz all seiner Anstrengungen. Es blieb eine Spannung, vielleicht auch deshalb, weil Marie genau beobachtete, wie wir miteinander umgingen und ob Vater mich anders behandelte als seine anderen Kinder. Nun, ich war ja nicht ihre Tochter, eher ein Eindringling, der einiges durcheinanderbrachte. Aber sein Besuch hier hatte etwas Besonderes an sich. Wir besprachen alles in Ruhe. Als er jedoch meinte, ich solle bis zum Schulanfang nach Hamburg kommen, wenn ich wiederhergestellt sei, versetzte es mir einen regelrechten Stich in die Brust. Mein Schweigen deutete er richtig, als er sagte:
    »Du möchtest doch lieber zu deiner Mutter, den Großeltern und all den anderen fahren, habe ich recht?«
    Ich machte eine Pause, ehe ich vorsichtig, aber erleichtert, antwortete:
    »Ja, ich würde sehr gerne die Großeltern, meine Mutter und meine Tanten wiedersehen.«
    »Das verstehe ich gut«, sagte Vater, »aber ein bisschen denkst du auch an mich?«
    »Ganz bestimmt, ganz bestimmt, Vater.«
    Er drückte mich vorsichtig an sich und strich mir über das Haar.
    Am Freitagvormittag fuhr Vater wieder zurück. Er ließ ein glückliches Mädchen zurück, das nun hoffte, bald wieder gesund zu sein und nach Hause fahren zu können. Wenn alles seinen Gang ging, erfüllte sich eine große Hoffnung, nämlich, dass der Weg frei war für einen neuen Lebensabschnitt.

    Es ist der erste Advent 2008, gestern war mein Geburtstag. Die Jahre zähle ich seit einem runden Geburtstag rückwärts. Nicht, dass ich mit meinem Alter Probleme hätte, denn außer den üblichen Wehwehchen kann ich nicht klagen. Viel ist passiert in den vergangenen Jahren. Viele Tiefs haben uns begleitet, Richard und mich. Und gerade die Adventszeit versetzt einen in die Stimmung, das Leben rückblickend vorbeiziehen zu lassen. Mein erster Geburtstag ohne Richard, und in wenigen Tagen ist sein erster Todestag, ein schwerer, dunkler Tag für mich. Wann immer es möglich ist, fahre ich zum Friedhof, zünde eine Kerze an und erzähle ihm alles, was mich bedrückt, was mich erfreut oder mir Sorgen bereitet. Danach geht es mir meist wieder besser. Was meinen Schmerz lindert, ist die Einsicht, dass der Tod für Richard eine Erlösung war. Seine Schmerzen müssen schrecklich gewesen sein, aber er klagte nicht, lächelte uns immer an, in seinem Blick waren stets nur Dankbarkeit und Liebe. Die Sonne ging für ihn auf, wenn seine Mädchen ihn besuchten oder bei der schweren Pflege halfen. Ohne sie hätte ich das alles nicht bewältigt. Sie konnten mir Mut machen und versicherten mir immer wieder, dass ich alles tat, was man für ihren Vater tun konnte. Einen Vorwurf mache ich mir jedoch: dass ich, als es ihm besonders schlecht ging und ich nachts an seinem Bett saß, ihn unter Tränen bat, mich nicht alleine zu lassen. Er spürte, dass ich noch nicht bereit war, ihn gehen zu lassen, bis sein Tod eine Erlösung war. Ich wollte aber niemals, dass er so leiden musste.

    *
    Danach erschien mir alles so sinnlos, wozu auch weiterleben? Lebte meine Großmutter noch, sie hätte mich gut verstanden, sie hätte mich getröstet, wie es nur eine Mutter kann. Sie hätte die richtigen Worte gefunden, nicht ohne mich zu ermahnen, dass Richards Mädchen auch Trost brauchten, weil sie ihren Vater verloren hatten, dass sie auf ihre Weise trauerten und ich jetzt für sie da sein musste. Es war aber eher so, dass die Mädchen mich stützten, sie ließen mich trauern, nahmen mich einfach in den Arm und ließen mich haltlos weinen. Dies gab mir die Kraft und die Einsicht, dass ich mich damit abfinden muss, es bleibt keine andere Wahl. Der Mensch ist nicht einfach ein Besitztum, auf das man auf Dauer Anspruch erheben kann.
    So also waren meine Gedanken an diesem ersten Advent. Sie ließen mich aber auch wieder zurückkehren nach Niederau zu Hedy und Max. Ich sehe ihre Freude vor mir, als aus Meißen die Nachricht kam, dass nun die Haushaltslehre als Pflichtjahr angerechnet würde, vorausgesetzt, dass ich

Weitere Kostenlose Bücher